Folge 6: DMEA-Spezial

Dr. Markus Leyck Dieken: Quo vadis, TI 2.0?

Am zweiten Tag der DMEA trafen Prof. Dr. Sebastian Kuhn und Christine Fehenberger gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken und sprachen mit ihm über seine bisherige Zeit bei der gematik, die Herausforderungen beim Ausbau der Telematikinfrastruktur und wie er die Stimmung auf der Messe wahrnimmt. Dreh- und Angelpunkt für die gematik aktuell: Die Neukonzeption der elektronischen Patientenakte als ePA 2.0, die nun mit opt-out-Prinzip eingeführt werden soll. Das ist auch ein Teil der Digitalisierungsstrategie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der für die gematik eine neue Rolle vorsieht. Was das für alle Beteiligten bedeutet, erklärt Dr. Leyck Dieken in unserer DMEA-Spezialfolge.

Dr. med. Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der gematik GmbH

Im Interview auf der DMEA:
Dr. med. Markus Leyck Dieken

Geschäftsführer der gematik GmbH


Dr. Markus Leyck Dieken ist seit dem 1. Juli 2019 Alleingeschäftsführer der gematik GmbH. Er kommt aus der medizinischen Praxis: Dr. Leyck Dieken war sieben Jahre als Internist und Notfallmediziner stationär und ambulant im Einsatz, sammelte Erfahrung in Brasilien und Deutschland. Seine Promotion absolvierte er 2001 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Fach Endokrinologie.

Digitalisierungsstrategie '23 unter Karl Lauterbach


Im März 2023 legte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine neue Strategie für die Digitalisierung des Gesundheitswesens vor. Ein wesentlicher Punkt: Bis 2025 sollen 80 Prozent der gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) haben. Wer eine ePA besitzt, soll bis Ende 2025 auf eine digitale Medikationsübersicht Zugriff erhalten. E-Rezepte sollen alltagstauglich gemacht und die Forschung auf Basis von Gesundheitsdaten erleichtert werden. In Apotheken und Gesundheitskiosken soll es telemedizinische Angebote geben. Die Pflege soll durch ein eigens geschaffenes Kompetenzzentrum durch digitale Transformation Entlastung erhalten. Gesundheits- und Pflegedaten sollen für die Forschung nutzbar gemacht werden. Zudem erhält die gematik eine stärkere Rolle als Digitale Gesundheitsagentur, für TI-Anwendungen soll die Nutzerorientierung an erster Stelle stehen.


Elektronische Patientenakte (ePA)


In der Elektronischen Patientenakte (ePA) sind wichtige Informationen einer Patientin oder eines Patienten gespeichert, beispielsweise Befunde, Medikationspläne oder Röntgenbilder. Damit sollen zum Beispiel Doppeluntersuchungen verhindert und Wechselwirkungen zwischen Medikamenten ausgeschlossen werden, zudem sollen Notfallmedizinerinnen und -mediziner im Ernstfall einen schnellen Überblick, worauf sie bei der Behandlung achten müssen.


Opt-out-Prinzip


Die ePA ist seit 2021 verfügbar, wird allerdings nur selten genutzt. Versicherte müssen sie aktiv entscheiden, ob und wie sie die ePA nutzen möchten – das heißt, sie wurde mit opt-in-Prinzip eingeführt. Jetzt spricht das Bundesgesundheitsministerium von der "ePA für alle": Jede und jeder Versicherte, die oder der nicht widerspricht, erhält zukünftig die ePA. Das bedeutet opt-out: Wer sie nicht nutzen will, muss ihr aktiv widersprechen.

Transkript der Podcast-Folge

  • Minute 00:00 bis 04:55: Rückblick

    Christine Fehenberger: Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer zu unserer neuen Folge von NewHealth.Podcast: Digitalisierung sinnvoll umsetzen. Wie Sie schon hören, ist diese Folge etwas anders. Alissa Stein kann sie heute leider nicht durch die Welt der digitalen Medizin führen. Das übernehme ich: Christine Fehenberger, Geschäftsführerin der Content Marketing Agentur Storyboard, die diesen Podcast konzipiert und produziert. Doch viel mehr müssen sie sich nicht umgewöhnen. Denn mir gegenüber sitzt wie immer in diesem Podcast Prof. Dr. Sebastian Kuhn. Hallo Herr Kuhn, ich freue mich sehr, mit Ihnen diese Spezialfolge zu moderieren. 


    Prof. Dr. Sebastian Kuhn: Hallo Frau Fehenberger, mir geht es genauso und ich freue mich ganz besonders über dieses Update mit Ihnen heute.


    Christine Fehenberger: Eine Besonderheit dieses Mal ist auch der Ort, an dem wir uns gerade befinden, denn wir sitzen im Aufnahmestudio der Messe Berlin. Hier findet in diesem Moment die DMEA statt, Europas wichtigste Messe für digitale Gesundheitsversorgung. Herr Kuhn und ich konnten uns schon einen sehr guten Überblick verschaffen. Doch darüber sprechen wir, wenn die Messe vorbei ist. Deswegen an dieser Stelle schon mal der Hinweis an Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, auch die nächste Folge wird etwas anders. Dann besprechen wir die Highlights der DMEA und nehmen Sie mit auf einen Rundgang durch die Messehallen. Und da wir schon bei Highlights sind, freue ich mich jetzt ganz besonders, unseren Gast dieser Folge zu begrüßen. Hier im Studio sitzt neben mir Dr. Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der gematik. Herzlich willkommen, Herr Leyck Dieken! Ich freue mich sehr, dass Sie während dieses ganzen Messetrubels hier Zeit haben, mit uns zu sprechen.

     

    Dr. Markus Leyck Dieken: Frau Fehenberger, Herr Professor Kuhn, vielen herzlichen Dank für die Möglichkeit, dass wir heute zusammen sprechen können. 


    Prof. Kuhn: Ja, auch von meiner Seite. Ich finde es super, dass wir uns hier auf der DMEA treffen und Sie als Kapitän von so einem Dreh und Angelpunkt, von der gematik, von der Digitalisierung in Deutschland. Ich glaube, es ist ein ganz, ganz tolle Möglichkeit, wie wir uns heute hier austauschen können. 


    Christine Fehenberger: Herr Leyck Dieken, Sie sind seit Juli 2019 Geschäftsführer der Gematik. Was haben Sie in diesen Jahren vorangetrieben? 


    Dr. Leyck Dieken: Oh, wir haben eine ganze Menge vorangetrieben. In den ersten sieben Monaten haben wir die sogenannten Siebenmeilenstiefel angezogen und gleich sieben Dinge verändert. Erst mal haben wir die Sache einen neuen Namen gegeben, denn die Gesellschaft hieß damals noch „Gesellschaft für Telematik Anwendungen der Gesundheitskarte mbH“. Und dieser Titel hatte schon in seiner Anmutung natürlich etwas völlig Verstaubtes. Und zweitens betonte er die Gesundheitskarte, die natürlich überkommen war und bei der wir um die digitale Welt kamen. Das heißt, der kurze Name gematik wurde eingeführt. Es wurden drei Ausschüsse und Gremien verabschiedet, die wir nicht mehr benötigten und die dafür gesorgt haben, dass wir straffer geführt werden konnten. Dann haben wir sehr, sehr viele Ebenen in der gematik abgeschafft und gleichzeitig aber einen mehrstimmigen Geschäftskreis geschaffen. Denn die Produktion hatte nur eine einzige Stimme im Geschäftskreis und war umgeben von den Support-Funktionen. Aber die Produktion der gematik ist so vielfältig, von der Entwicklung bis zur Zukunftsforschung, dass ich unbedingt eine Vielstimmigkeit aufbauen wollte. 

    Das vierte, was wir gemacht haben, war, dass wir bislang an einem Wasserfall-Prinzip gearbeitet haben. Das heißt, man wurde in langen Spezifikations-Texten wurden die Dinge einmal dicht definiert, auch ohne wesentlich mit den Kunden darüber zu sprechen, so dass beispielsweise die ePA 1.0 eine Spezifikation hat, die über 1.800 Seiten lang war. In einer Sprache, die nur wenige Programmierer überhaupt noch verstanden und die es natürlich gar nicht möglich machte, das Kundenfeedback einzubringen. Dieses Verfahren jetzt umzustellen in ein interaktives Verfahren, was Sie so gerne mit dem Schlagwort „agil“ belegen, das war ein langer Weg, den wir aber damals schon begonnen haben. Bei uns bewusst war: So können wir nicht arbeiten. Wir brauchen eine ganz andere Form des Miteinanders. 


    Und das bedingte die fünfte Änderung, dass wir diese Firma endlich geöffnet haben. Die gematik, das wissen die wenigsten, hatte damals von den Altgesellschaften praktisch ein Besuchsverbot bekommen. Es durfte nur mit den Experten der Gesellschafter interagiert werden und es durften weder Krankenkassen, Kliniken oder Praxen besucht werden. Und natürlich war es ein völlig absurde Evolution. Und deshalb haben wir uns sehr, sehr entschieden dazu gebracht, dass wir endlich in die wirkliche Versorgungszone gegangen sind und es dort abgerufen haben. 

    Und dann haben wir der Firma eine endlich eine neue Marke gegeben, die es gar nicht gab. Weil mir wichtig war, dass wir natürlich auch als Arbeitgeber attraktiv werden und dass die Menschen sich mit ihrer Aufgabe identifizieren. Die gematik ist ein Teil des Gesundheitswesens, und ich bin der erste Arzt, der die gematik führt. Und das habe ich von Anfang an auch so betont. Und es war mir wichtig, dass die Mitarbeiter sich mit einer Marke identifizieren, die sie gutheißen. Seitdem sind wir auf dieser Suche, immer mehr wirklich mit der Versorgungszone in Kontakt zu treten. Dabei stellen wir viele Dinge fest, die unzulänglich in der gematik sind und die wir auch anpassen müssen. Aber es ist ein Weg, den wir beschritten haben und der unabdingbar zum Erfolg der gematik geführt hat.

  • Minute 04:56 bis 09:25: TI 2.0, ePA und TIM

    Christine Fehenberger: Ja, vielen Dank, Herr Leyck Dieken, für diesen Überblick, das ist ordentlich was passiert in den letzten Jahren. Ich habe jetzt häufiger gehört, wie Sie im Kontext der Telematik Infrastruktur Versionsnummern betonen: Die TI 2.0. Können Sie für uns rekapitulieren, was die erste Version ausgezeichnet hat? 


    Dr. Leyck Dieken: Ja, die erste Version, die wurde lange mit dem analogen Bild der Datenautobahn beschrieben. Und die Datenautobahn war vielleicht damals ein passendes Bild, weil man sehr viel Wert darauflegte, dass es ein separates, sicheres Netz gibt. Und das war bei der Implementierung der deutsche Weg damals. Man hat seitens aller Beteiligten unbedingt gewollt, dass es ein Netz ist, was so sicher ist, dass es ein separat geführtes Netz ist. 


    Das Thema Autobahn ist aber das völlig falsche Bild heutzutage, weil Autobahn bedeutet, wir fahren alle gemeinsam eine Richtung und es gibt zwar zwei Spuren und der eine fährt vielleicht schneller, aber es hat nichts mit Interaktion zu tun. Es hat wenig mit Begegnung zu tun und es entspricht gar nicht der Vielfältigkeit des Gesundheitswesens. 


    Bedeutet: Die T 1.0 fußt auf Technik, also auf IT Technik, die 20 Jahre alt ist und die deshalb auch für viele der Ärztinnen und Ärzte, die unsere Technik verwenden, als extrem hölzern wahrgenommen wird. Wir haben, das muss man doch konstatieren, in der TI 1.0 eigentlich praktisch kein Produkt, was aus dem Handgelenk her funktioniert, wie wir das sonst in der digitalen Welt unseres täglichen Lebens sehen. Und die TI 2.0 ist das Resultat, wenn man so will, eines Selbstreflexionsprozesses der Gematiker, die eineinhalb Jahre lang geguckt haben: Warum ist es eigentlich so? Und was müssen wir tun? Und dazu ist die klare Diagnose: Wir brauchen sozusagen einen technischen Sprung, der wirklich diese 20 Jahre überbrückt. Das ist ein großer großer Sprung, der übrigens auch für alle Beteiligten natürlich nicht einfach ist zu tun. Und den haben wir jetzt mit TI 2.0 definiert. Und der hat jetzt im letzten Jahr begonnen, in dem wir in diesem Jahr beispielsweise zum ersten Mal elektronische Identitäten herausgeben wollen, uns von der Karte diesbezüglich verabschieden. Und er geht weiter über die nächsten Jahre, bis vermutlich 2027, wir endlich in ein digitales System kommen, was in seiner Technik überhaupt dem Stand des heutigen Spiels entspricht. 


    Christine Fehenberger: Also das heißt, wir befinden uns noch in der Luft bei diesem Sprung und landen hoffentlich 2027? 


    Dr. Leyck Dieken: Ja, es ist sogar, ich bin ganz ehrlich, sogar ein bisschen härter, weil viele der Ärzte und Ärztinnen spüren das ja leider Gottes auch. Wir sind eigentlich in einem ganz engen Geburtskanal gerade und da müssen wir durch. Und mir ist das schon sehr bewusst und das ist auch nicht von der Hand zu weisen. Wir haben einige Themen, die noch nicht rund sind, gerade für die Kliniken beispielsweise haben wir viele Produkte, die eigentlich nie für Klinikkonzepte in der Vergangenheit durch die Gesellschafter konzipiert wurden. Man hat eigentlich immer in der Währung der Einzelpraxis gedacht und deshalb haben wir uns da auch so ehrlich gemacht und gesagt, die einige dieser Produkte können im Klinik-Setting so nicht landen. Sie brauchen einen ganz anderen Kontext, eine ganz andere Einbindung und gehen deshalb gar nicht erst daran, sie alle überhaupt im Kliniksektor zu platzieren, sondern sie eher in der TI 2.0 erst auszurollen, wenn sie überhaupt in dieses Umfeld eingebettet werden können. 


    Christine Fehenberger: Jetzt sind wir schon genau bei den Produkten, also wirklich konkrete Produkte - das interessiert unsere Hörerinnen und Hörer natürlich ganz besonders. Was würden Sie sagen? Wie ist der aktuelle Stand in der gematik bei der Entwicklung der Produkte und an welcher Lösung arbeiten Sie zurzeit unter Hochdruck? 


    Dr. Leyck Dieken: Es gibt zwei, drei Aufträge, die wir sehr konkret haben, und einer davon steht im Koalitionsvertrag, nämlich dass es eine sogenannte Opt-out elektronische Patientenakte geben soll. Diesen Auftrag haben wir formell auch bekommen, und an diesem arbeiten wir zurzeit, in dem wir konkret 17 medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften, auch Psychotherapeuten einbeziehen und verschiedenste Patientenorganisationen einbeziehen, in sogenannten Value for User Workshops. 


    Das heißt, wir arbeiten unter Einbezug dieser Nutzer derzeit an der Konzeption dieser sogenannten ePA für alle, bei der es wichtig sein wird. Wie kann man sozusagen das Opt-out artikulieren? Wie kann man den Behandlungskontext nachweisen, damit nur dann auch diese elektronische Patientenakte geöffnet wird? Und wie können wir die ersten Features, die sich jetzt die Fachgesellschaft wünscht, nämlich den elektronischen Medikationsplan so einbetten, dass aus ihm Dinge herauskommen? Das ist das erste Thema. 


    Das zweite Thema, was dem Minister Lauterbach als sehr, sehr am Herzen liegt, ist der sogenannte TI Messenger-Dienst. Es gibt ja bislang natürlich viele Messenger und viele Ärzte, wissen wir auch, benutzen längst Messenger Dienste, um zwischeneinander zu kommunizieren. Onkologen beispielsweise kommunizieren auch über Messenger mit ihren Patienten direkt. Aber natürlich sind das häufig keine sicheren Messenger Dienste. Und hier ist das Schöne, dass wir einen gefunden haben, der alle sehr, sehr überzeugt in seiner Sicherheit und der es ermöglicht, dass es verschiedenste Anbieter gibt, die ein Messenger-Dienst dann so „tayloren“ (Anm. schneidern), dass er für den entsprechenden Kunden passend ist in seiner Menüführung. Zwischen Pflegediensten und Menschen im Krankenhaus-Campusarbeit oder niedergelassenen Kollegen. Und dieser TI Messenger Dienst ist ebenfalls noch für 2023 auf dem Programm. 

  • Minute 09:26 bis 16:52: "Eine der häufigsten Todesursachen ist, dass wir keine ePA haben."

    Christine Fehenberger: Vielen Dank. Da haben wir zwei Produkte, zwei sehr konkrete Produkte. Ich würde gerne auf das erste Produkt eingehen, die ePA, kurz für elektronische Patientenakte. Sie wird ja auch hier auf der DMEA wie wir hören sehr stark diskutiert, bzw. an allen Ecken und Enden wird darüber gesprochen. Erst mal an Sie, Herr Kuhn, die Frage: Was erwarten Sie sich denn von der neuen ePA? 


    Prof. Dr. Kuhn: Ja, also ich verbinde wirklich große Hoffnung mit der neuen ePA, nämlich dass etwas passiert, was für Patientinnen und Patienten, aber auch Ärztinnen und Ärzte bisher häufig nicht spürbar war: ein echter Mehrwert in der Behandlung. Dass wir durch die ePA wirklich ein Behandlungs-Kontinuum unterstützen können. Für mich als Kliniker würde ich wirklich gerne postulieren: Eine der häufigsten Todesursachen ist, dass wir keine ePA haben. Dass wir nicht die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt bei der richtigen Person haben. Und das wird die ePA liefern können. Das ist sicherlich ein Prozess, der eine Zeit dauert. Die Implementierung in einem komplexen System ist immer eine große Herausforderung. Aber ich setze da wirklich drauf, dass vor allem mit überschaubaren ersten Elementen in der ePA strukturierte Daten in Form von Medikationsangaben, strukturierte Daten mit Notfall-Datensatz oder mit einer ePA Kurz-Akte, wo wir nicht die gesamte Krankheitsgeschichte unbedingt benötigen, sondern wirklich die wichtigsten Informationen, die wir auch immer kennen, wenn wir eine stationäre Aufnahme haben. Vorerkrankungen, Vor-OP‘s, Medikation, Allergie, das sind wirklich die harten Fakten. Und wenn wir in der Lage sind, das zu liefern, dann werden die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Behandler wirklich den Mehrwert spüren. Und ich glaube, darüber können wir eine Dynamik aufbauen für weitere Aufgaben, die anstehen.


    Christine Fehenberger: Sie meinen, eine Art Notfall One-Pager, die den behandelnden Ärzten zum Beispiel in der Notaufnahme sofort alle wichtigen und relevanten Fakten zu verstehen gibt? 


    Prof. Dr. Kuhn: Ja, also die ePA wird insgesamt viele Elemente enthalten und viele Informationen. Aber wahrscheinlich - Der große Mehrwert entsteht wahrscheinlich schon bereits durch wenige, vor allem durch strukturierte Informationen wie Medikationsplan oder die wichtigsten Informationen zum Patienten. Und es kann in einzelnen Fällen wirklich Information sein, die auf ein Blatt Papier passt, ja.


    Christine Fehenberger: Und Herr Leyck Dieken, Diese Art der ePA war ja nicht die alte ePA, wenn ich das richtig verstehe. Warum noch gab es die Weiterentwicklung jetzt zur neuen ePA und auch zu neuen Opt-out ePA?


    Dr. Leyck Dieken: Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt, den wir gerade ansprechen. Zunächst mal hat man damals die ePA als opt-in-ePA konzipiert, weil sie eigentlich im ersten Reflex die richtige Lösung erschien. Wir haben ja immer dieses Paradigma, dass die Daten in der Hoheit der Bürgerinnen und Bürger bleiben müssen. Das sagen wir sowohl im Deutschen als auch im Europäischen Parlament. Und diese Verfasstheit, hat man damals geglaubt, wird am besten dadurch gelebt, dass wir jede Patientenakte durch die Bürger selber pflegen lassen. 


    Erstaunlicherweise muss man sagen, wenn man sich das zum zweiten Mal betrachtet und im europäischen Ausland sich ein bisschen umschaut, stellt man fest, dass diese initial überzeugende Lösung, die Daten gehören den Bürger also sollen sie ihre Akten selber führen, genau die falsche Lösung ist. Sie führt nämlich dazu, dass es eigentlich nur die gut können, die dafür Zeit haben, die den Bildungsgrad dafür haben, die Muße dafür haben in ihrem Lebensablauf und die digital affin sind.

    Was wir faszinierend gesehen haben, beispielsweise, als wir nach Dänemark geschaut haben, wo es eine sehr moderne Form der elektronischen Patientenakte bereits seit 14 Jahren überall in der Bevölkerung, in allen Kliniken und Praxen gibt, also von allen mitgespielt wird, war die Schlussfolgerung, dass es genau umgekehrt ist. Dass es nicht die patientengeführte Akte ist, die die beste Lösung ist, sondern die patientzentrierte Akte. Bedeutet konkret: Was wir mit dieser Opt-out bekommen, ist, dass wir praktisch unabhängig davon, ob Sie oder ich wohlhabend sind, gut gebildet sind, Zeit haben oder digital überhaupt affin sind. Sogar ob ich überhaupt ein Smartphone besitze, dass wir plötzlich durch dies Lösung, denn die ePA wird ja durch die Krankenkassen bereitgestellt in die gleiche Situation verbracht werden, dass unsere Befunde mit demselben Anrecht vorliegen, und zwar vollständig und umfassend vorliegen werden. Das hat eine demokratische Kraft, die im Parlament sehr, sehr stark erkannt wurde. Und deshalb muss man sagen, hat die Ampelkoalition ja auch zum allerersten Mal im Gesundheitswesen das Wort Opt-out in ein Gesetz geschrieben. 

    Wir erinnern uns: Vor vier Jahren war das bei der Organspende noch nicht der Mut der Dinge, obwohl damals alle medizinischen Fachgesellschaften es den Parlamentariern angeraten haben zu tun, hatte man diesen Mut damals nicht. 


    Und man muss de facto festhalten: Bei der Organspende ist es bis heute so, dass wir uns zwar moralisch wohlig dabei fühlen, aber de facto mehr Organe aus europäischem Ausland importieren, als wir selber beitragen. Das heißt, man hat erkannt, dass Opt-out, wie die Skandinavier das gestern Abend in der finnischen Botschaft wieder sehr schön artikuliert haben. Opt-out ist ein Signal des Gemeinschaftssinns. Und ich glaube, dass es hier sehr schön ist zu sehen. Eine Gemeinschaft sind kommt, wie gerade beschrieben, dadurch zustande, dass sich eben alle in der Bevölkerung gleichberechtigt mitnehme. Es werden unsere Vorbefunde vorliegen und dass wir zweitens nicht nur individuell damit besser stehen, sondern dass wir auch der Gemeinschaft, wenn wir möchten, damit einen Gewinn an Einsichten bringen. Weil Daten teilen heißt ja praktisch medizinische Erfahrungen teilen, die ich mache. Und das hat natürlich eine Kraft, die man nicht unterschätzen darf. Und deshalb bedauere ich immer wieder, dass, wenn über die opt-out ePA geredet wird, man das falsch liest, weil man gar nicht erkennt, dass es für alle eine wesentlich bessere Lösung ist, als wenn wir bei der opt-in EPA nur die wenigen Privilegierten zum Zuge kommen lassen. 


    Prof. Dr. Kuhn: Ja, ePA 2.0 in der Primärversorgung oder in den primären Nutzung. Wo sehen Sie wirklich für den einzelnen Patienten die ganz früh spürbaren Mehrwerte, die entstehen? Also was sind die Dinge, die Patientinnen und Patienten vielleicht in zwei, drei, vier Jahren wirklich bei sich selbst merken in der Behandlung? Was ändert sich?


    Dr. Leyck Dieken: Zunächst ändert sich sofort, dass ich keine Anamnese, lange Recherche mehr machen muss, wenn ich nicht bei dem Arzt bin, der mich schon kennt, sondern bei einem anderen Arzt oder in einer Klinik plötzlich notfallmäßig aufgenommen werde, wird man sofort meine Vorgeschichte viel, viel besser erfassen können. Das erleichtert viel. Meine Mutter ist vor ungefähr zehn Tagen notfallmäßig in eine Kölner Klinik aufgenommen worden und da ich nicht zugegen sein konnte, haben die Ärzte viele Dinge nicht gewusst, die sie natürlich sofort erfahren hätten, hätte es diese elektronische Patientenakte gegeben. Zweitens: Wir haben 40.000 Fälle in Deutschland, die an Arzneimittelninteraktionen leiden, in Deutschland zwar schwerwiegend, leiden jedes Jahr. Und diese Interaktionen werden durch das nun geplante Medikations-Management hoffentlich deutlich reduziert werden. 

    Wenn man so will, machen wir mit dieser Patientenakte dann eine Art „Deutschland Macht den Pillen Dosen Check“, der mich individuell darauf hinweist, dass vielleicht die neunte Tablette eine zu viel ist. Schlicht und ergreifend. Wir sehen ja und das können Sie Prof. Kuhn wahrscheinlich am besten nachvollziehen. Wir sehen auch einen Trend zur Übermedikation im Alter, wo einfach traditionell weiter eingenommen wird, was vielleicht zu diesem oder jenem Zeitpunkt gar nicht mehr erforderlich ist. 


    Und zweitens: Wir haben natürlich immer wieder auch Medikation, die durch zusätzliche Selbstmedikation zu Interaktionen führt, die man unbedingt vermeiden möchte. Und wir arbeiten jetzt daran, dass bei der Einlösung der E-Rezepte automatisch sich dieses Medikament auch im Medikationsplan wiederfinden wird. Und wenn der Patient das möchte, er es auch seine selbstgekauften in der Apotheke dazu eingeben kann, sodass wir sehr schnell Analysen bekommen werden, wo liegt da der Hase im Pfeffer? Welches Medikament sollte möglicherweise ausgelassen werden oder welches Medikament sollte durch ein anderes ersetzt werden, damit Interaktionen beispielsweise möglich sind? Der dritte Punkt, dann komme ich auch zum Schluss, ist Doppeluntersuchungen werden vermieden. Wir haben endlich mehr Befunde. Mein junger Neffe ist kürzlich erst beim Bouldern verletzt worden und hat innerhalb von drei Tagen zwei CT’s bekommen, weil die eine Behandlung nicht wusste, dass er das andere schon längst hatte. Und da sieht man das Kosten und natürlich auch in dem Fall Strahlenexpositionen entstehen, die völlig unnötig sind und die als Doppeluntersuchung dem System natürlich belastend entgegengebracht werden.


  • Minute 16:53 bis 27:04: ePA als "Ankerpunkt"

    Prof. Dr. Kuhn: Vielen Dank für die Beispiele und ich teile absolut Ihre Meinung. Ich glaube das ist ein Mehrwert, den die ePA wirklich schon hat, direkt bei der Einführung auch wirklich dann auch leisten kann. Und es wird sicherlich eine deutliche Verbesserung sein. Was mich auch wirklich gefreut hat, ist, dass die gematik sich nicht mehr so als Solitär-Lieferant von einer technischen Lösung sieht, sondern auch in Prozessen denkt. Sie hatten das eben auch schon mal ausgeführt, wie Sie das strategisch angegangen haben, welche Personen oder auch Fachgesellschaften sie beteiligen. Aber die ePA wird zunehmend auch so als Rückgrat von dem gesamten Prozess-Management von dem Ablauf. Und ich habe mich gefreut, dass in der Digitalisierungsstrategie auch digitales Disease Management Programm aufgetaucht ist oder  DiGA Pro. Aber auch nicht als Standalone Produkt, sondern in Kombination mit der ePA. Können Sie vielleicht ein paar Sätze dazu sagen, so wie diese Interaktion - Prozesse und ePA – so richtig gut zusammenpassen? 


    Dr. Leyck Dieken: Ja, man muss das ganz klarsehen. Wenn wir in die erfolgreichen Länder schauen, dann ist es genau, wie Sie es formuliert haben, Professor Kuhn. Die elektronische Patientenakte ist eigentlich der Ankerpunkt für jede weitere Digitalisierung des Gesundheitswesens, weil ohne strukturiert abgelegte Daten – und ich komme gleich noch dazu, dass wir dazu auch die ePA weiterentwickeln müssen – geht es gar nicht voran. Alles weitere fußt darauf, dass die Bevölkerung diesen Backbone sozusagen mitbringt. Und nur dann werden wir die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus weiter ziehen können. Die digitalen DMPs waren die Idee, jetzt im Ministerium zu sagen: Natürlich wollen wir, dass die sogenannten Patient Journeys über viele Indikationen digital verbessert werden. Und dann konnte man sich überlegen: Macht man das in frei gewählten Indikationen und hat sich diesmal dafür entschieden zu sagen. Na ja, einen Schritt, wo wir schon sozusagen ein Versorgungspfad als Prozess besser etabliert haben, analog zumindest, sind Disease Management Programme, die es ja mittlerweile für eine Vielzahl von Erkrankungen vereinbart gibt. Und deshalb hat man jetzt hier den Weg gewählt zu sagen: Lasst uns diese doch erst mal digitalisieren, weil da sind die Prozesse vereinbarten Schritte zumindest schon mal da und wir können sehen, wie wir das nicht nur elektrifizieren, sondern wie wir es wirklich durch Digitalisierung möglicherweise auch viel schlüssiger, bündiger darstellen können zukünftig. Damit eben beispielsweise Diabetes mellitus oder Asthma oder arterielle Hypotonie und KHK in diesem Pfaden besser versorgt werden können. Das ist die Idee.


    Und bei den DiGAs glaube ich, ist es ja auch sehr schön einen Schritt weitergegangen. Bislang durften DiGAs ja nur Daten in die elektronische Patientenakte schreiben, jetzt sollen sie auch das Leserecht erhalten. Ich selber habe mich dafür sehr lange ausgesprochen, weil ich glaube, dass wir ja auch in höhere Klassen von medizinischen Apps wandern sollten, zukünftig und nicht nur in denen, die sehr passiv mit dem Patienten begleitend unterwegs sind. Und dazu gehört eben, dass ich dann auch die Schlussfolgerung in dieser DiGA-App selber ziehen sollte, indem ich eben auch gewisse Datenpunkte, zumindest wenn es der Patient möchte, auch auslesen kann, um in der Höhe des Spiels Patienten auch begleiten zu können.


    Prof. Dr. Kuhn: Mit dem Ganzen kommen aber auch Herausforderungen auf uns zu. Ich bin selbst persönlich ein großer Freund von digital unterstützten Prozessen, natürlich von Remote Patient Monitoring, von digitalen Gesundheitsanwendungen. Dass wir wegkommen von so einer Quartalslogik. Also jemand, der eine Herzinsuffizienz hat oder eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, da kommen die Verschlechterungen nicht nach einer Quartalslogik, die sich an einem ehemals gelben Schein und heute an der Abrechnungslogik orientiert. Wir haben zunehmend einfach mit diesen digitalen Diensten wird jeder Patient zu einer großen Big Data Herausforderung eigentlich für die Behandler. Das heißt die ePA oder die gematik hilft uns, diesen einen Informationsstrom zu bündeln und auch an einem Ort abzulegen. Es wird aber auch perspektivisch ganz spannend sein, immer mehr auch intelligente KI-unterstützte Systeme anzudocken, die diese Datenmassen, diese Datenwolke auch beherrschbar macht. Wie sehen Sie da Ihren Entwicklungsprozess als gematik sozusagen diese KI-Systeme integrierbar zu machen? Also eine ePA, die KI-ready ist dann. 


    Dr. Leyck Dieken: Ja das sprechen Sie ganz wichtigen Punkt an. Denn natürlich darf die ePA nicht dazu führen. Und das war ja, glaube ich, bei der ePA 1.0. Die Zögerlichkeit der Ärzte war die völlig falsche Assoziation, dass hier ein Tsunami von Daten zu lesen sei. Das war nie die Idee der ePA. Die Idee der EPA war immer das im Patientengespräch, die ePA nur dann zu Rate gezogen wird, wenn an einem gewissen Punkt etwas erwähnt wird, was man eben sofort dann bei der Hand hat, ohne es lange recherchieren zu müssen. 


    Wenn also der Patient beispielsweise erwähnt: Letzte Woche bekam ich ein Röntgenbild, dann hat man in Vergangenheit dieses Röntgenbild erst erfragen, recherchieren und anfordern müssen. Die ePA würde jetzt dazu führen, dass man sie sofort öffnen kann. Nach dem Schlagwort übrigens „Röntgenbilder“ auch gleich suchen kann, ohne dass man durch Seiten und Seiten hindurchgeht. Und natürlich ist es jetzt konkret so, wenn man sich das in den Systemen der Kliniken und der Praxen anschaut, dass ich ja einfach die Patientenakte öffne und mir genau in den Datenpunkten an den Tagen die Zusatzbefunde, die der Patient mitbringt, auch aufleuchten. Das heißt, ich habe weiterhin ganz normal meine Patientenakte, die ich öffne. Und zwischen diesen Datenbanken, die mir in der Praxis schon bekannt sind, leuchten plötzlich auch herausgehoben, farblich herausgehoben, die in der Patientenakte zusätzlichen Befunde auf. Und die muss ich gar nicht alle mir anschauen, sondern nur den, den ich jetzt als relevant empfinde. Das zunächst mal zum Ablauf, wie die elektronische Patientenakte sich einbettet, ohne dass ich gezwungen werde, plötzlich eine Flut von Daten zu lesen, wie es Ärzte häufig assoziieren. Das ist ein völliges Missverständnis des Prinzips, sondern es bedeutet: Nein, nur der Datenpunkt, der mich jetzt interessiert, den kann ich zusätzlich öffnen, ohne dass ich ihm lange hinterherlaufen muss. Das spart mir Zeit. Und wie wir alle uns gut daran beteiligen, werden wir in wenigen Jahren sehen, dass es wunderbar funktioniert. 


    Der Punkt der KI, den Sie angesprochen haben, ist uns sehr wichtig. Wir sehen bei den seltenen Erkrankungen, wir werden die Laborwerte ja im nächsten, nach der Medikation wird höchstwahrscheinlich die 500 meistbenutzten Laborwerte strukturiert abgelegt werden. Da öffnet sich ja genau der von Ihnen angesprochene Punkt. Nämlich kann ich hier durch elektronische Analyse Befundkonstellationen finden, die mich beispielsweise auf seltene Erkrankung hinweisen. Ja, habe ich eine sehr verschrobene Hormonkonstellation beispielsweise. Ich kenne das aus der Endokrinologie, wo man teilweise seltene Syndrome findet. Oder habe ich einen hohen Kupferwert mit einem anderen Wert, der mich darauf hinweist, dass hier eine Speichererkrankungen bei einem Kind vorliegt, die möglicherweise der behandelnde Arzt einmal im Leben sieht und der ihm eben hier Hinweis gebend plötzlich darauf geführt werden kann zu sagen: Denke auch an diese Differentialdiagnose und ziehe sie in Betracht. Und das sind glaube ich, Dinge, die in Armeslänge natürlich elektronisch verfügbar sind. Und an denen arbeitet die gematik ja insofern, als dass sie sicherstellt, dass diese Strukturiertheit in klaren Datenformaten, die auch europäische Datenformate sind, abgelegt werden, damit andere, die elektronische Datenanalytik bereitstellen, auf diese Formate sich einspielen können und eben entsprechende Schlussfolgerungen ziehen können. Jens Baas, der Chef der Techniker Krankenkasse, hat ja mal so wunderschön gesagt: Schon in wenigen Jahren wird ein Arzt, der ohne diese elektronische Analyseverfahren arbeitet, immer schlechter sein als ein Arzt, der durch sie begleitet wird. Und ich glaube, dieser Blick, den er da tut, der ist wahr und dem können wir uns auch alle nicht verstellen. 


    Christine Fehenberger: Eine Frage dazu Herr Leyck Dieken. Sie stellen völlig überzeugend dar, wie viel Potenzial in dieser ePA liegt. Als Arzt: Was passiert, wenn ich doch mal was übersehe in dieser EPA? Wie würden Sie darauf reagieren?


    Dr. Leyck Dieken: Ja, die gematik hat auf Ihrer Homepage und es wurde damals beantragt von der Bundesärztekammer und allen Gesellschaftern gestützt, die sogenannte FAQs zur elektronischen Patientenakte veröffentlicht, weil ja diese Art von Fragen sehr, sehr viele Ärztinnen und Ärzte beschäftigt hat, die eben auch in dieser Fehlwahrnehmung der elektronische Patientenakte - Ein Ärztefunktionär hat sie ja mal als Aldi-Tüte des Patienten bezeichnet und damit genau die Fehl-Assoziation losgetreten hat - sehr besorgt hat. Sie ist es eben nicht. Ich will das hier sehr deutlich sagen. Sie ist es nicht, sondern wir werden sie nie vollständig lesen müssen. Und es wird auch kein juristischer Vorwurf daraus kommen. Was entsteht, ist, dass wenn der Patient etwas in dem Gespräch mit Ihnen erwähnt und sagt, dass etwas vorliegt, dann wird man Sie natürlich anhalten, diesen Befund auch aus seiner Patientenakte zu entnehmen. Das würden Sie aber im Analogen natürlich auch tun, wenn der Patient sagt: Ich habe kürzlich ein CT bekommen und Sie das völlig ignorieren als Behandlerin oder Behandler, dann würde Ihnen das wahrscheinlich genauso zum Vorwurf gemacht werden, wie wenn Sie es hier nicht aufsuchen. Die elektronische Patientenakte ist insofern einfach nur ein „näher an Sie Heranführen“ von Befunden, die der Patient erwähnt. Aber keineswegs liegt es an der Vollständigkeit. Ich als Arzt selber bin mir dessen bewusst, dass man eine gut geführte Akte und, deshalb ist das Wort Akte auch völlig falsch, so ja nicht lesen soll, sondern das, was wir vorhaben. Das wird sich später auch anders nennen und nennen die anderen Länder Gesundheitsdatenraum. Und das, glaube ich, beschreibt es viel besser, weil wir klar sehen wir gehen einen Raum hinein und das, was wir jetzt aktuell zur Behandlung benötigen, das finden wir da vor. Und alles andere lassen wir völlig außer Acht.


    Christine Fehenberger: Und wenn wir bei diesem Bild bleiben, was denken Sie, oder wann denken Sie, ist dieser Raum gut gefüllt bei der Mehrheit der Versicherten in Deutschland?


    Dr. Leyck Dieken: Zunächst mal hängt das von der Fitness der begleitenden Krankenkasse etwas mit ab. Der begleitenden Krankenkasse etwas ab. Weil es gibt Krankenkassen, die auch jetzt schon beispielsweise die Abrechnungsdaten starten, der letzten vier Jahre automatisch elektronische Patientenakte ablegen. Aus denen kann man das eine oder andere schon entnehmen. Wir glauben, dass wenn sich alle beteiligen und das liegt natürlich daran, dass die Softwaresysteme das automatisch dann tun werden, nach der Definition der gematik sich die Akten sehr schnell füllen. Denn die Ärzte sollen davon befreit werden, es aktiv tun zu müssen. Das ist vielleicht hier auch noch mal wichtig in diesen Podcast zu erwähnen, denn viele der Behandlerinnen und Behandler haben Angst, dass sie immer noch zeitig damit beschäftigt sind, jetzt jeden einzelnen Befund anzuklicken, um ihm das Kommando zu geben, in die Akte abgelegt zu werden, wie das bislang ja der Fall ist. In der neuen Version der Opt-out EPA machen wir für viele der strukturierten Daten das im Automatismus. Das heißt die Software-Industrie, der Klinik-Systeme und der Praxis-Systeme wird die Aufgabe bekommen, diese Daten automatisch in ein Data Repository abzulegen. Und nur extra Befunde, die der Arzt auch ganz bewusst hinzugeben möchte, müsste er dann anklicken. Das heißt, die Arbeit wird hier deutlich erleichtert, sodass die Verbindlichkeit natürlich der Aktenfüllung damit extrem zunehmen wird, sodass schon innerhalb von wenigen Jahren glaube ich, sie sehr, sehr viele relevante Daten in diesen Räumen finden werden. Dazu arbeiten wir an der sogenannten Kurz-Akte Version, die europäisch standardisiert jetzt wurde. Und die werden wir natürlich auch aus dem Softwaresystem automatisch entnehmen, sodass wir übrigens auch mit Blick auf den europäischen Datenraum dann dafür sorgen werden, dass die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands das bekommen, was viele andere europäische Bürger übrigens schon haben, nämlich eine Kurzversion ihrer Akte. Und die wird natürlich schon in vielen Fällen helfen.


    Christine Fehenberger: Und wir können bald damit rechnen, mit der Kurzversion.


    Dr. Leyck Dieken: Ja, die Kurzversion kommt deshalb zustande. Bei den Nordischen Botschaften gestern wurde so schön gesagt, dass der europäische Datenraum sehr viel Druck ausüben wird auf alle Länder, die noch nicht so weit sind. Und man muss sehr deutlich sagen Deutschland ist am weitesten hinterher. Wir werden erst 2024 überhaupt technisch angebunden werden an den europäischen Datenraum. Und dann wird ja das Recht entstehen, dass Bürgerinnen und Bürger diese elektronische Kurzversion bekommen. Und das wird dazu führen, dass wir vermutlich schon 2026 das für eine Vielzahl deutscher Bürger realisieren können.

  • Minute 27:05 bis 36:43: "Wir sind die 18. Nation in Europa, die nun ein europäisches E-Rezept einführt. Und wir haben es bislang nicht geschafft. "

    Prof. Dr. Kuhn: Europäischer Gesundheitsdatenraum hake ich gerade noch mal nach. Ich bin jetzt die letzten zwei Jahre als Vertreter von der europäischen Ärzteschaft eine Reihe von Prozessen auch mit eingebunden gewesen. Finde ich ein unglaublich spannendes Projekt und man merkt auch eine etwas andere Herangehensweise und Grundstimmung als im Vergleich zu vor fünf Jahren, wo andere Aspekte wirklich ganz zentral gestellt erstellt wurden. Also es war, aus meiner Sicht ist Datenschutz natürlich enorm wichtig, aber es wurde vor vier, fünf Jahren manchmal als alleiniges Argument im Rahmen der Diskussion dann auch geführt oder als zentrales Argument. Während die Datennutzung, die sinnvolle im Sinne von Patientinnen und Patienten angewandte Datennutzung jetzt wirklich beim European Health Data Space jetzt wirklich im Zentrum von dem Ganzen steht. An welchen europäischen Partnern orientieren Sie sich vielleicht? Oder wo sagen Sie da bekommen wir als gematik wirklich auch gute Inputs oder vielleicht auch den Input vielleicht aus Land A und anderen Input aus Land B? 


    Dr. Leyck Dieken: Also die gematik hat vor zwei Wochen ungefähr eine europäische Karte veröffentlicht, bei der man sehr schön sehen kann, wie es in den anderen Ländern steht. Interessanterweise sind es keineswegs nur die Skandinavier und die baltischen Länder, die uns da voraus sind, wie wir das immer schon seit vielen, vielen Jahren in Deutschland gesehen haben, sondern selbst Italien, Spanien, Kroatien und Portugal haben sehr interessante Modelle. Die Portugiesen zum Beispiel können ihr E-Rezept bis nach Finnland schicken und die Franzosen können es bis nach Irland schicken mittlerweile. Insofern schauen wir uns wirklich alle Länder an und entnehmen aus vielen Ländern Möglichkeiten. Die Realität für die Deutschen wird werden, und deshalb vielen Dank noch mal auf den Hinweis aus dem Datenschutz ist, da die europäischen Länder schon dieses Spiel miteinander längst seit einiger Zeit spielen trilateral, bilateral, haben sie sich eingependelt auf ein gewisses Niveau der Datensicherheit und des Datenschutzes, der in der Balance zwischen Datennutzung und Datensicherheit von ihnen schon wesentlich balancierter eingependelt wurde, als wir das bislang bedauerlicherweise in Deutschland sehen. 

    Deshalb hat sich ein Datenschutz- und ein Sicherheitsniveau ermöglicht, das es gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichte, den Datenzugang und die Kontrolle über ihre Daten weiterhin sehr souverän auszuüben. Konkret ist dabei für uns Dänemark eines der Highlights. Man muss ganz klar sagen mit sundhed.dk aus Dänemark hat sich eine Organisation entwickelt, die ein System über 14 Jahre etabliert hat, was uns gerade in Bezug auf den gerade erwähnten Gesundheitsdatenraum als große Orientierung gilt. Und es wird bedeuten, dass Deutschland in diesen EHDS, also den European Health Data Space, nur dann wird souverän eintreten können, wenn es endlich bereit ist, die Spielhöhe der Europäer auch zu akzeptieren, die teilweise pragmatischer ist als die, die wir derzeit in Deutschland erleben.


    Christine Fehenberger: Das ist ein sehr gutes Stichwort. Wenn wir zurück nach Deutschland gucken. Gestern gab es ja eine sehr, sehr gut besuchte Keynote von unserem Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Und wie wir sehen, gibt es jetzt augenscheinlich frischen Wind in Deutschland, was seine Digitalisierungsstrategie anbelangt. Diese soll die Digitalisierung des Gesundheitswesens wesentlich vorantreiben. Die Gematik erhält dabei auch eine neue Rolle. Und wir hatten eingangs bzw. Sie hatten eingangs erwähnt, es wird sich einiges verändern. Es hat sich bereits einiges verändert. Wie sehen Sie heute die neue Rolle der Gematik und auch Ihr eigenes Selbstverständnis?


    Dr. Leyck Dieken: Ja, wir begrüßen diese Veränderung der Digitalstrategie sehr und waren daran aktiv beteiligt und freuen uns, dass eigentlich die Vorstellungen, die wir schon im Vorfeld der Digitalstrategie hatten, sich im Endresultat zu sehr großen Teilen widerspiegeln. Denn wir müssen sagen: Wir haben in den letzten zwei Jahren Beobachtungen gemacht über die bislang eingeführten Produkte. Ich nehme den Klassiker - das elektronische Rezept. Wir sind die 18. Nation in Europa, die nun ein europäisches E-Rezept einführt. Und wir haben es bislang nicht geschafft. Und die Beobachtung, warum das so ist, sind eigentlich dann eingeflossen in die neue Form der gematik, die als Anstalt öffentlichen Rechts, ja, vermutlich, wenn das Gesetz so kommt, um 1.1.2024 Realität wird. Beispielsweise mit Mandaten wie End-zu-End-Verantwortlichkeit. Die war uns bislang nicht gegeben. Es gab Teilstrecken des E-Rezeptes, bei denen die gematik keinen Einblick bekommen hat oder nur sehr zögerlich Einblick gewährt wurde. Und das ist für die Koordination von nationalen IT-Projekten immer schlecht. Wir brauchen eine Gesamtverantwortlichkeit. Wir brauchen auch das Mandat, dass wir beispielsweise Partner dazu verpflichten können, auf einem gewissen Standard zu einem gewissen Zeitpunkt Dinge zu liefern. Und zwar nach Vorlage durch Zulassung durch uns. 

    Die dritte Dimension, die die Digitalstrategie sehr, sehr schön zeigt, ist die sogenannte „User Experience“ ist zum ersten Mal Zulassungskriterien geworden. Bislang war bei uns praktisch die technische Ausführung alleiniger Grund, ein Produkt zulassen zu können. Hätte bedeutet, Sie können ein E-Rezept auch durch sieben Klicks definieren in Ihrer Software und Sie hätten trotzdem von uns die Zulassung bekommen. Und aktuell erhalten Sie ja noch die Zulassung gar nicht durch die gematik als Software, sondern durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Und das hat man natürlich jetzt gelernt. Man hat gemerkt: Aha, warte mal, das wird aber so gespielt, wie wir das gar nicht möchten. Wir wollen unbedingt, dass die Zulassung nur dann erfolgt, wenn einer, der es wirklich testen konnte, nämlich die gematik, diese Zulassung auch erwirken kann. Und zweitens, wir wollen unbedingt, dass die Dimension der User Experience dabei eine maßgebliche Rolle spielt. Das wird das Spiel mehr verändern, als man das, glaube ich, aktuell der Strategie entnehmen kann und ist ein großer Anspruch an alle beteiligten Partner, die wir draußen haben. Und so sieht man, dass mehr und mehr die Beobachtung der letzten zwei Jahre eingeflossen sind in den neuen Entwurf: Was brauchen wir wirklich für eine nationale Digitale Gesundheitsagentur, wie wir sie auch in vielen anderen erfolgreichen Ländern so mandatiert sehen, muss man ganz klar sagen.


    Christine Fehenberger: Also verstehe ich richtig: Die Chance liegt darin, wirklich ganz, ganz nah am Nutzer zu agieren und auch schnelle Entscheidungen zu treffen?


    Dr. Leyck Dieken: Ja, und das Mandat dafür endlich zu bekommen. Wenn wir ein zahnloser Tiger sind, der sozusagen nicht mandatiert ist, sozusagen auch die Kraft auszuüben, die Partner der Industrie dazu zu bringen, dann funktioniert das nicht. Deutschland hat ja da ein Weg gewählt, wie kein anderes europäisches Land gewählt hat. Die meisten europäischen Systeme sind ja entweder von sich aus schon sehr einheitliche Gesundheitssysteme wie in England. NHS ist eben ein NHS. Monolith oder wie das ähnlich auch in Holland der Fall ist. Oder aber man hat sich wie in Dänemark für ein einziges System entschieden. Deutschland hat in ordnungspolitischer Verfasstheit ja gesagt: Wir haben 100 Krankenkassen und wir wollen eine Marktbeteiligung der Systeme bekommen. Das ist einerseits sehr schön und sorgt sicherlich für einen guten Wettbewerb. Andererseits muss man diesen Wettbewerb aber auch so koordinieren, dass der Fluss der Daten darunter eben nicht gehemmt wird und dass wirklich alle auf einer modernen Version ein Angebot bekommen. Und deshalb braucht die gematik hier sehr, sehr viel mehr Mandat, um trotz dieser ordnungspolitischen Grundentscheidung dafür zu sorgen, dass die Infrastruktur glatt über alle funktioniert. Mein Korrelat dazu ist: Wir haben eben nur ein Gleisbett in Deutschland für alle Züge, auch wenn es mittlerweile nicht nur die Deutsche Bahn gibt, sondern viele andere Bahngesellschaften. Wie käme keiner auf die Idee zu sagen, jeder muss seine eigenen Signalanlagen jetzt auch noch betreiben! Das tun wir zurzeit im deutschen Gesundheitswesen noch. Und die Schlussfolgerung war: Die Telematikinfrastruktur als zentrale Struktur, die darf nicht so vielfältig sein, die muss einheitlich werden, weil sonst verkämpfen wir uns mit den vielen Interoperabilitäten, die wir da täglich koordinieren müssen.


    Christine Fehenberger: Vielen Dank. Wenn ich Ihr Bild von dem Gleisbett noch mal aufgreifen darf, wollen wir einmal gemeinsam einsteigen und nach Hamburg fahren. Denn das ist der Ansatz der Modellregionen. Die gematik hat im Herbst 2022 die Ausschreibung für Modellregionen in Deutschland gestartet und nun eben den ersten Zuschlag erteilt - Hamburg und Umgebung werden erste Modellregion für digitale Gesundheit. Können Sie uns ein bisschen was darüber erzählen? Wo steckt das Potenzial? Was haben Sie vor? Was dürfen wir erwarten vom Norden? 


    Dr. Leyck Dieken: Ja, sehr gerne. Und ich freue mich sehr, dass der Norden den Zuschlag bekommen hat. Und wie Sie wissen, werden wir noch eine zweite Region zuschlagen. Und darauf freuen wir uns auch sehr. Zunächst mal muss man sagen, wir haben ja schon über die Arbeit der gematik gesprochen. Es sind eigentlich immer drei Schritte Design, Produktion, Rollout. Design haben wir erwähnt. Machen wir jetzt endlich mit Nutzerbeteiligung. Produktion - Machen wir jetzt einen Entwurf mit der Industrie. Durch Industrieconnectors, Industrie-Sprechstunden und durch mehr und mehr Interaktion mit der Industrie bauen wir endlich etwas schlüssiger, als wenn wir es nur alleine am Theorietisch erfinden. Das wollen wir auch. Wir wollen, dass die Industrie uns beim Bauen zuruft: „Hey, das geht mit fünf Kilogramm weniger“ oder „Das können wir Aluminium Leichtbau machen“. Also heißt manche Dinge können sich schlanker programmieren, als wir es vielleicht initial konzipiert haben. Und jetzt die Modellregion: Die Modellregion geht in den Rollout, das heißt die letzte Strecke zu den Behandlerinnen und Behandlern. Da hatte die gematik bislang ja nur die sehr, sehr eingeschränkte Testmöglichkeit und die Laborsituation. Und wir haben doch alle gemerkt in den letzten zwei Jahren, dass diese zwei Etappen nicht ausreichend sind. Software-Partner brauchen mehr Realitätsumgebung und deshalb haben die Gesellschafter gesagt: Wir brauchen jetzt jeweils Modellregionen, bei denen von einer großen Universitätsklinik bis zu den Rettungsdiensten, von Pflegediensten über Hebammen alle vertreten sind und übrigens auch eine Vielfältigkeit von Softwareanbieter vertreten sein muss, damit es endlich ein Biotop des Warentests gibt. Deshalb ist mir die Modellregion eine Herzensangelegenheit gewesen, damit wir endlich aus diesem Jammertal herauskommen, dass sozusagen die unreifen Produkte bundesweit gleich ganz gesehen werden. Das Ziel ist, dass jetzt alle wichtigen Produkte in diesen Modellregion getestet werden. Das wird eine Verzögerung der bundesweiten Einführung dann bedeuten, weil sie eben drei oder sechs Monate lang Erfahrungsschatz erst sammeln. Ist aber ein Angebot an alle Industriepartner zu sagen, geht da erst mal durch, damit ihr in den Reifegrad kommt und wir dann erst in den bundesweiten Rollout. Es ist also für mich eines der extrem wichtigen Prozesse, die wir jetzt hier zum Abschluss bringen können mit dieser Bezuschlagung, damit wir auch in diesem dritten Punkt der Arbeit der gematik endlich schlüssiger sind.


    Christine Fehenberger: Und Sie sagten auch schon bereits es wird ja noch einen zweiten Zuschlag geben. Wann dürfen wir erfahren, wer denn den zweiten Zuschlag bekommen hat? 


    Dr. Leyck Dieken: Bedauerlicherweise darf ich das aus juristischen Gründen hier nicht erwähnen, weil es ein sogenanntes Ausschreibeverfahren ist und ich bitterlich lernen musste, dass selbst kleinste Flüstertöne da nicht erlaubt sind. Aber ich kann sagen, dass innerhalb dieser Messe der DMEA hier in Berlin gerade weiter Gespräche geführt werden, die mich sehr, sehr zuversichtlich stimmen, dass wir schon in den nächsten drei Wochen darüber auch eine Presseerklärung geben können, weil wir dann endlich diese Möglichkeit auch klar zum Abschluss gebracht haben. Und dann haben wir eine zweite Region in Deutschland, die, glaube ich, eine hohe Kompetenz diese Möglichkeit erfüllen wird.


  • Minute 36:44 bis 42:44: "das Heil- und Hilfsmittel-Rezept ist das nächste große Ding"

    Christine Fehenberger: Also wir sind sehr gespannt, werden das sehr genau verfolgen. Jetzt haben Sie gerade schon die DMEA noch mal angesprochen. Wir sind ja nun hier und Sie waren ja auch gestern schon den ganzen Tag hier. Was nehmen Sie mit für Ihre Arbeit an Impulsen oder an Innovationen, an neuen Gedanken, die Sie hier gehört haben?


    Dr. Leyck Dieken: Also zunächst mal wir als gematik sind ja endlich mit einem sehr, sehr offenen Stand das dritte, vierte Mal vertreten. Das hat es früher so nicht gegeben. Und die DMEA mehr ist dieses Jahr ja nicht nur so gut besucht wie nie zuvor, sondern sie ist auch ein Ort von Neugierde und von Spannung und von Optimismus geworden. Das hat es ja jahrelang in der Gesundheits-Digitalisierung auch nicht gegeben. Insofern wie früher Als Arzt ist man doch auf den Kongress nicht nur gegangen, um die Neuigkeiten zu erfahren, die man auf Kongressen erfährt, sondern auch ein bisschen um die Moral der Truppe hochzuhalten, um wieder selber zu tanken, sich mit Optimismus zu versorgen. Das tun wir hier auf der DMEA sehr ähnlich. Auch für meine Mitarbeiter ist es doch eine ganz wichtige Messe, weil wir wie gesagt als Unternehmen, was jahrelang nicht so nah an den Partnern gewesen ist, hier sehr, sehr viel Partner spüren und wir ja immer mehr wollen, dass wir gar nicht alles selber konzipieren, sondern gute Ideen der anderen aufnehmen. Insofern kann ich sagen: Wir sind hier wie Schwämme, wir saugen sehr, sehr viel auf. 


    Wie beispielsweise; das Heil- und Hilfsmittel-Rezept ist das nächste große Ding, was wir definieren wollen. Und da gibt es sehr, sehr gute Heil und Hilfsmittel-Rezept-Prozesse, die bereits die Software-Partner hier machen. Und wir werden den Teufel tun, in der gematik jetzt so zu tun, als müssten wir bei Adam und Eva beginnen, sondern ganz im Gegenteil, wir werden jetzt alle ins Haus einladen. Wir werden sagen: Aha, wie habt ihr das gemacht? Mensch, was für tolle Lösung! Wie viele Nüsse habt ihr schon geknackt? Damit wir gemeinsam dann gleich für die bundesweite Lösung darauf aufsetzen können, damit es eine schlüssige Lösung bundesweit geben wird. Insofern ist die Liste unendlich lang sogar. Und deshalb sind wir auch mit so vielen Mitarbeitern auf der DMEA vertreten, weil diese Impulse werden realiter wirklich mit nach Hause genommen.


    Prof. Dr. Kuhn: Gut, der Schwarm ist gut aufgesaugt. Ich möchte gerne mit Ihnen abschließend einmal in die Zukunft blicken. Das machen wir zum Abschluss von jeder Podcastfolge. Lassen Sie uns mal gemeinsam in das Jahr 2030 gehen und ich würde gern so Ihre Vision von der medizinischen Versorgung, von der Gesundheitsversorgung im Jahr 2030 hören. Was glauben Sie, was ist Realität? Was können Bürgerinnen und Bürger erwarten? 


    Dr. Leyck Dieken: Also ich glaube, Bürgerinnen und Bürger werden erwarten dürfen, dass wir endlich ähnlich wie die Skandinavier nicht mehr nach Befunden suchen müssen und es wirklich elektronische Patientenakten gibt, die ganz spielerisch und längst selbstverständlich geworden sind. Wie viele Dinge, die wir digital am Anfang erlernt oder nach drei Monaten schon längst aus dem Handgelenk spielerisch können. Und das ist wichtig, glaube ich. Denn diese spielerische Weise, die wird sehr viele Ressourcen damit schöpfen. In der Charite gibt es Tausende von Mitarbeiterinnen, die nur Akten herumtragen müssen. Das wird alles aufhören. Und für die Patienten wird es bedeuten, dass sie plötzlich weit mehr wissenschaftlichen Fortschritt auch erleben werden. 


    Denn das ist ja ein Aspekt, über den wir noch gar nicht gesprochen haben. Um uns herum explodiert wissenschaftliches Wissen, was auch mehr und mehr greifbar in Diagnostik und Therapie eingeführt wird. Wir sind ja nicht mehr auf Zellebene oder auf Zellkern, sondern wir sind schon im Zellkern, in den Signalketten, mittlerweile in der Erforschung von Erkrankungen. Also ICD Schlüssel sind praktisch Beschreibungen aus dem 19. Jahrhundert, wenn man so will für unsere Erkrankungen. Und ich glaube, dass die Patienten ganz erstaunt sein werden, dass es eben Techniken gibt, wie Liquid Biopsie, das Mikrobiom-Forschung längst vorangeschritten ist und dass es ganz individualisierte Erkrankungen und dazu auch entsprechende Therapeutika mehr und mehr geben wird. Wie wir uns daran erinnern, dass diese Individual-Therapeutika kommen, brauchen wir sie eben gezielt im Einsatz. Was ist meine genaue Mutation und welche Mutation hilft mir bei dieser onkologischen Erkrankung besonders gut und welches ist der beste Therapiepfad? Das zu beantworten wird glaube ich 2030 viel mehr Realität sein, als die Bürger aktuell erleben. Und darauf freue ich mich sehr. Denn eigentlich muss man sagen, sage ich allen meinen Freundinnen und Freunden, wenn ihr ins europäische Ausland fahrt, dann fragt doch mal: wie löst ihr euer Rezept ein und habt ihr eine Akte? Und das tun wir nur sehr, sehr selten, wenn wir im europäischen Ausland unterwegs sind. Und wir werden verblüfft sein, wie viele andere europäische Länder das schon längst machen, routiniert machen und sich damit wesentlich besser fühlen.


    Prof. Dr. Kuhn: Also eine neue Gesundheitsversorgung, wo einfach die Digitalisierung, die Innovation und die ganzen, sagen wir mal explosionsartigen Entwicklung wirklich auch zusammenhält und interoperabel macht.


    Dr. Leyck Dieken: Ja, also das wird es nicht vollständig natürlich 2030 geben, aber in viel mehr Ansätzen, als wir derzeit ahnen. Und das wird Augen öffnen sein. Und ich glaube, die junge Generation, die jetzt kommt, verlangt es auch, dass das so kommen wird. Und deshalb freue ich mich sehr, dass auch parlamentarisch mit jeder Legislatur wieder viele junge Menschen ins Parlament kommen, die in der digitalen Stimme das auch einverlangen werden. Und das zu Recht.


    Prof. Dr. Kuhn: Ja, das ist absolut meine Erfahrung. Ich habe vor mittlerweile sechs Jahren Medizin im digitalen Zeitalter gestartet, das erste medizinische Curriculum, was im deutschsprachigen Raum etabliert wurde. Und wir haben ganz am Anfang wirklich dafür werben müssen. Ich musste in die Fachschaft gehen, an meinen alten Ort, mich auf die Couch setzen, wo ich schon 15 Jahre vorher saß, in anderer Rolle und wirklich aktiv werben. Und wir haben elf Studierende überzeugt, in diesen Kurs reinzukommen. Und wir waren ein Jahr später, wo wir über 200 Bewerber hatten, auf gerade mal 15 Plätze. Also von daher, die neue Generation verlangt danach. Die will im Endeffekt Arzt, Ärztin werden, aber mit neuen Tools kompetent agieren. Und da ist im Endeffekt die Digitalisierung, die gibt uns einfach neue Werkzeuge in die Hand. So wie wir vor 250 Jahren ein Stethoskop bekommen haben, plötzlich Dinge hören konnten, die wir bisher nicht hören konnten, Distanzen überbrücken konnten, auch wenn es nur 30 Zentimeter waren. Und jetzt bekommt man sehr, sehr mächtige Tools, wo wir wirklich hunderte von Kilometern überbrücken können, um für Patientinnen und Patienten da zu sein, wenn sie unsere Hilfe brauchen. Vielen Dank für die Zukunftsvision.


    Christine Fehenberger: Ja, vielen Dank. Das sind sehr, sehr spannende Aussichten. Und ich nehme jetzt mal Ihren Optimismus auferlege Decken und sage: Wir befinden uns in einem absoluten digitalen Wandel, vor allem in diesem Bereich der Medizin. Und so wie ich sie heute verstanden habe, werden wir sehr bald sehr viel mehr Transparenz haben. Und ich hoffe, es führt dazu, dass wir auch alle sehr bald sehr viel gesünder sein werden. Insofern – ich bedanke mich bei Ihnen. Ich wünsche Ihnen sehr viel Erfolg weiterhin beim Meistern aller Herausforderungen. Und auch ich verabschiede mich jetzt von Ihnen, Herr Leyck Dieken und Herr Kuhn. Es war eine sehr. Es war wirklich eine Freude, mit Ihnen zu sprechen. Und das nächste Mal, liebe Hörerinnen und Hörer, hören Sie wieder Alissa Stein und Professor Kuhn. Wie angekündigt geht es dann um die Highlights der DMEA. Bleiben Sie also dran und natürlich gesund. Auf Wiederhören.

NewHealth.Podcast:

Zu allen Folgen

Digitalisierung sinnvoll umsetzen. Der Podcast zur Digitalisierung des Gesundheitswesens: Prof. Dr. med. Sebastian Kuhn und Moderatorin Alissa Stein sprechen regelmäßig mit Gästen aus der Branche. Ihre Themen: Spannende Best-Practice-Beispiele, interessante Visionen und praktische Erfahrungen, wie Entscheiderinnen und Entscheider im Krankenhaus Hürden bei der Digitalisierung meistern.

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