Folge 2:

Virtual Reality als Narkosemittel

Während einer Operation durch den Wald spazieren, ein Konzert erleben oder die Lieblingsserie genießen: Alles möglich im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin. Möglich ist das durch den Einsatz von Virtual-Reality-Brillen. Dr. med. Heiko Spank, Chefarzt der Klinik für Spezielle Orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie, erklärt in dieser Folge die Vorteile des Einsatzes von VR-Brillen, diskutiert gemeinsam mit Moderatorin Alissa Stein und Dr. med. Sebastian Kuhn die Risiken und für welche Personenkreise sich der Einsatz von Virtual Reality nicht eignet.

Dr. med Heiko Spank des Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikums in Berlin

Zu Gast: Dr. med. Heiko Spank

Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin

Dr. med. Heiko Spank ist Chefarzt für Spezielle Orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie an einer der Vivantes Auguste-Viktoria-Kliniken in Berlin. Vor drei Jahren setzten er und sein Team das erste Mal VR-Brillen ein. Der Prozess: Patientinnen und Patienten entscheiden nach einem Aufklärungsgespräch, ob Sie neben der Regionalanästhesie zusätzlich eine Vollnarkose oder alternativ die Ablenkung durch eine Virtual-Reality-Erfahrung möchten. Menschen, die sich einerseits unwohl fühlen, wenn sie die eigene Operation miterleben und andererseits eine Vollnarkose nicht vertragen, erhalten dadurch eine neue Möglichkeit.


Was ist Virtual Reality?


Virtual Reality (VR) ist eine oft computergenerierte Welt, in die Nutzerinnen und Nutzer mithilfe von Virtual-Reality-Brillen und oft Kopfhörern eintauchen. So entsteht ein besonders immersives Erlebnis, da die digitale Welt sie umgibt und Anwenderinnen und Anwender mit ihr interagieren können. Sie sind abgekoppelt von der eigentlichen Realität und fokussieren ihre Konzentration auf die Ereignisse in der virtuellen Realität. Es können aber auch Nebenwirkungen auftreten.


Wer an „Virtual Reality Sickness“ leidet, verspürt eine Form von Übelkeit ähnlich einer Seekrankheit. Sie entsteht durch eine Unstimmigkeit zwischen wahrgenommener Bewegung und dem Bewegungssinn des Gleichgewichtssystems. Wer sich in der digitalen Welt länger bewegt, kann sich also nach Abnahme der VR-Brille unwohl fühlen. Symptome können Übelkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Bewegungsinstabilität bis hin zum Erbrechen sein.

Transkript der Podcast-Folge

  • Minute 00:00 bis 06:28

    Dr. Spank: Der Vorteil besteht halt darin, der VR Brille, dass man den Patient von der Realität um sich herum abkoppelt, ohne ihn zusätzlich narkotisieren zu müssen. Das heißt, er kann sich in eine andere Welt begeben und kriegt von der eigentlichen OP nichts mit. Das ist der Vorteil für den Patienten. Der Vorteil für das Klinikpersonal besteht einfach in der Tatsache von beschleunigten Prozessen.


    Alissa Stein: NewHealth.Podcast. Digitalisierung sinnvoll umsetzen. Der Talk mit Expertinnen und Experten zur Digitalisierung des Gesundheitswesens.


    Dr. Kuhn: Mit Sebastian Kuhn.


    Alissa Stein: Professor für digitale Medizin. Und mit mir Alissa Stein als Moderatorin. Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, zum NewHealth.Podcast. Der Podcast zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Heute sprechen wir über eine Innovation, die wohl die wenigsten im Krankenhaus erwarten, nämlich Virtual Reality. Tatsächlich wird VR schon eingesetzt, und zwar zum Beispiel in der Anästhesie. Auch das klingt erst mal abwegig und deswegen werfen wir einen zweiten Blick drauf. Wieder an meiner Seite ist Professor Dr. Sebastian Kuhn, unter anderem Professor für Digitale Medizin. Hallo, Herr Dr. Kuhn.


    Dr. Kuhn: Hallo, Frau Stein. Ganz herzlichen Dank für die Einführung und schon die Vorlage. Ja, viele von uns, wenn wir an Virtual Reality denken, dann kommen ja erst mal Computerspiele. Wir denken, wir sind im Actionbereich drin und werden ganz arg aktiviert. Aber Virtual Reality können wir auch in der Medizin einsetzen. Und in dem Bereich geht es nicht nur um Action und besondere Situationen, sondern auch oft um Beruhigung oder vielleicht auch um Schmerzen zu reduzieren. Wir können ganz, ganz spezielle Situationen erzeugen.


    Alissa Stein: Total spannend. Ich bin wirklich schon sehr gespannt, was wir auch heute alles erfahren werden. Es ergibt Sinn und hat sich auch schon in der Praxis bewährt, genauer gesagt im Vivantes Auguste Viktoria Klinikum in Berlin. Und wir freuen uns daher, Dr. Heiko Spank begrüßen zu dürfen. Er ist Chefarzt in der Klinik für spezielle orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie und hat den Einsatz von VR bei Operationen begleitet. Herzlich willkommen, Herr Dr. Spank.


    Dr. Spank: Ja, vielen Dank, Frau Stein, für die herzliche Begrüßung. Auch ein Gruß an Herrn Kuhn. Das ist korrekt. Wir nutzen die VR-Brillen seit mittlerweile drei Jahren und ich kann dann gerne im weiteren Verlauf des Gesprächs noch ein paar nützliche und hilfreiche Informationen dazu geben.


    Alissa Stein: Sehr, sehr gerne. Bevor wir jetzt gleich in die Diskussion einsteigen, möchte ich Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, auch auf das Magazin NewHealth.Guide hinweisen. Im Heft finden Sie ausführliche Infos zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen, zum Krankenhaus, Zukunftsgesetz und spannende Beispiele, wie digitale Lösungen erfolgreich umgesetzt wurden. Alle Infos dazu gibt es online unter www.newhealth.guide. Herr Dr. Spank, erzählen Sie doch mal, wie genau setzen Sie denn wie in Ihrer Klinik ein?


    Dr. Spank: Also wir sind ja eine Klinik, die sich überwiegend mit dem endoprothetischen Gelenkersatz beschäftigt, also eine Patientenklientel betreut, die sich grundsätzlich aussuchen kann, wo sie sich operieren lässt und eigentlich auch meistens als gesunde und fitte Patienten zu uns in die Klinik kommen. Bis auf natürlich das geschädigte Gelenk. Und aus diesem Grund haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir das Umfeld der gesamten Operation und die Operation an sich so optimieren können, dass der Patient das auch wahrnimmt. Und dazu zählt für mich und für viele Kollegen halt eine Narkoseform, die dem Patienten ermöglicht, möglichst schnell wieder auf die Beine zu kommen und vor allen Dingen auch bei klarem Bewusstsein zu sein. Das heißt nicht 1 bis 2 Tage zu brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen und sich zu orientieren. Das ist ja relativ häufig bei Vollnarkose der Fall, dass es dann durchaus zu verzögerter Mobilisation kommen kann. Und das war für uns der Grund, uns mit der Regionalanästhesie, also der Spinalanästhesie, gerade bei den Knie- und Hüftgelenks-Operationen zu beschäftigen. Das haben wir auch zum großen Teil umgesetzt. Aber da ist natürlich immer der Punkt: Der Patient ist wach, der Patient liegt wach auf dem OP-Tisch und bekommt, wenn man ihm nicht irgendwie ein Schlafmittel gibt oder irgendwas in die Richtung, bekommt halt alles mit. Und das ist für viele Patienten immer so der Punkt zu sagen, davor habe ich Angst, das möchte ich nicht, das schreckt mich ab und dann nehme ich doch lieber eine Vollnarkose. Und da kam dann diese Videobrille, die VR-Brille ins Spiel, die über Kontakte in der Medizinindustrie den Weg zu uns gefunden hat sozusagen. Und wir haben das probeweise eingesetzt und haben dann festgestellt, das ist eine ganz tolle Sache, weil der Patient im Grunde genommen komplett von der Außenwelt abgeschirmt ist. Also so wie ich jetzt hier mit dem Headphone ja ähnlich abgeschirmt bin von der Außenwelt und das nicht wahrnimmt, was ringsherum passiert und diese Kombination aus einer, ich sage mal in Anführungsstrichen sanften Form der Narkose oder für den Patienten gut verträglichen Form der Narkose und der Abschirmung durch eine Virtual Reality Brille, das war für uns der Grund, die dann auch wirklich intensiv einzusetzen.


    Alissa Stein: Ja, spannend. Ich bin auch gespannt, was Herr Dr. Kuhn dazu sagt. Wie ist es bei Ihnen? Finden Sie das großartig oder springen da bei Ihnen direkt die Alarmglocken an?


    Dr. Kuhn: Nee, bei mir keine Alarmglocken. Also ich komme ja aus dem gleichen Fachgebiet wie Dr. Spank. Ich bin auch Unfallchirurg und Orthopäde und für uns war auch Virtual Reality in einigen Stellen schon ganz, ganz bewusst eine Möglichkeit, Patientinnen und Patienten einfach in eine andere Realität zu versetzen, also im Rahmen von schmerzhaften Behandlungen, zum Beispiel im Rahmen von Verbrennungsbehandlungen. Wenn Verbandswechsel notwendig sind, gibt es mittlerweile auch Anwendungen, wo Patienten dann in eine virtuelle Schneewelt versetzt werden, was signifikant die Schmerzwahrnehmung auch reduziert und dann auch in Kombination mit Medikamenten eine bessere Wundversorgung ermöglicht. Wir können aber auch genau das Gegenteil machen, ein bisschen außerhalb von meinem Gebiet, im Rahmen von Expositionsbehandlungen, also typischerweise bei Phobien. Wenn jemand Angst hat vor einer weißen Maus oder vielleicht auch vor einem großen Platz oder von einer Höhe, da gibt es schon lange die Expositionstherapie, die auch evidenzbasiert ist. Und die muss nicht immer nur in Realität durchgeführt werden, nein, die kann jetzt auch in Virtual Reality erfolgen.


    Alissa Stein: Wie sieht es denn da aus? Habe ich da als Patient, als Patientin auch ein Mitspracherecht, was ich gerne sehen wollen würde?


    Dr. Kuhn: Ja, also das ist sicherlich etwas, was therapeutisch begleitet werden muss. Und das sind in aller Regel auch mehrere Stufen notwendig, um dann an diesen Schritt zu kommen, um vielleicht eine Expositionsbehandlung auch zu bekommen. Ähnlich auch im Rahmen von schmerzhaften Eingriffen. Das ist etwas, was man natürlich mit Patientinnen und Patienten vorab besprechen muss, sie darauf vorbereiten. Aber wir sehen dort eine relativ hohe Akzeptanz bei den Patientinnen auch.

  • Minute 06:29 bis 10:12

    Alissa Stein: Herr Dr. Spank, können Sie sich vorstellen, die Anwendung noch auszuweiten? In Großbritannien wurde ja VR sogar als Ersatz für eine Vollnarkose eingesetzt, in Ergänzung mit lokalen Nervenblockaden.


    Dr. Spank: Ja, also vorstellen kann ich mir alles, aber prinzipiell unser Patientenspektrum natürlich relativ begrenzt. Wir, wie ich bereits gesagt habe, geht es bei uns in erster Linie um endoprothetisch zu versorgende Patienten. Und da ist es mit einer Regionalanästhesie nicht viel zu wollen. Das würde zu weit führen, also mit einer reinen Nervenblockade. Aber in Kombination halt mit einer Spinalanästhesie ist das eine tolle Sache. Anders ist es zum Beispiel im Bereich der Fußchirurgie. Da ist das mit Sicherheit ein Thema, dem man sich stellen kann, dass man quasi regionale Betäubung durchführt, also Nervenblockaden und dabei auch die VR-Brille sozusagen einsetzt. Aber rein auf meinen Patienten-Spektrum begrenzt geht das nicht mit einer regionalen Nervenblockade. Das muss dann schon eine Form einer vollwertigen Narkose, also sprich Spinalanästhesie oder Ähnliches sein.


    Dr. Kuhn: Was ich noch ganz spannend fände:Zwischen einer guten Idee, einer guten technischen Lösung und dann einer guten Patientenbehandlung ist ja doch meistens ein weiter Weg. Ich fände es ganz spannend, ein bisschen mehr zu erfahren, noch wie sie das umgesetzt haben. Also wen mussten Sie vielleicht einbinden innerhalb vom Krankenhaus, um die technischen Aspekte abzubilden, Vielleicht auch die Klinikadministration oder auch Kolleginnen und Kollegen aus der Anästhesie, aus der Unfallchirurgie, Orthopädie? Wie haben Sie das wirklich gemacht, dass das zum Erfolg wurde?


    Dr. Spank: Na ja, also da haben Sie völlig recht. Das geschieht natürlich nicht komplett alleine, sondern man muss das Umfeld mit einbinden. Zunächst mal die Geschäftsführung, weil die gibt die Gelder frei für diese VR-Brillen, die es ja leider nicht umsonst gibt. Das haben wir als ersten Schritt gemacht und dann letztendlich, da auch ein gewisser Weise einen Businessplan erstellen müssen, um halt so zu zeigen, dass sich der Einsatz dieser Brillen letztendlich auch rentiert. Das ist ja immer so der Dreh und Angelpunkt in unserem Gesundheitssystem heutzutage. Und dann hatte ich natürlich auf der anderen Seite einen wirklich guten Partner im Chefarzt der Anästhesie, der das begriffen hat, dieses Potenzial dieser VR-Brillen. Und gemeinsam mit diesem Kollegen aus der Anästhesie sind wir dann an unsere Kollegen in der Anästhesie und in der Orthopädie, Unfallchirurgie herangetreten und haben gesagt, das würden wir gerne machen. Wir machen erst mal eine gewisse Patientenselektion. Also suchen uns die Patienten aus, die für uns am geeignetsten erscheinen, und testen das mal sozusagen in so einer Testphase von, ich glaube wir hatten 25 Narkosen, die wir so betreut haben. Das waren in der Regel jüngere Patienten, die offen sind für technische Innovationen in der ersten Phase. Die mit mit technischen Innovationen vertraut sind und haben das getestet und haben dann festgestellt, dass das wirklich sehr, sehr gut angenommen wurde. Haben an der, ich sag mal Benutzung der Brillen dann teilweise optimale Lautstärke und und Auswahl der zur Verfügung gestellten Filme etc. noch was optimiert. Aber im Endeffekt nach diesen ersten 25 Patienten festgestellt: Das läuft super. Und haben das dann im Rahmen der Sprechstunden-Betreuung ausgeweitet auf alle Patienten, die bereit waren, sich einer Lokalanästhesie, also einer Spinalästhesie, sozusagen im Rahmen des Eingriffs zu stellen. Das haben wir dann natürlich immer in Kombination mit der vorbereitenden Anästhesiesprechstunde gemacht, also die Spinalanästhesie empfohlen und das dem Narkosearzt auch nahegelegt. Und wenn das dann auch in Übereinstimmung mit der Sicht des Narkosearztes war, dann wurde das den Patienten immer, wenn sie eine Spinalanästhesie bekommen sollten, empfohlen. Dass der große Vorteil ist der, dass wir halt die Spinalanästhesie als ein Element einer sogenannten Fast Track oder schnelleren Mobilisationsmedizin der Patienten im Rahmen der Endoprothetik sehen. Das heißt, der Grundgedanke ist wirklich der: Der Patient kommt nicht als kranker Patient zu uns, sondern als Patient, der sich in Anführungsstrichen nur ein Gelenk ersetzen lässt. Und so muss er wahrgenommen werden. Das heißt, nicht ein Patient, der wirklich die nächsten Tage nach der Operation im Bett liegt und sich überhaupt nicht bewegt, sondern der dann schnellstmöglich wieder in den Bereich des normalen Lebens kommt. Und dazu zählt halt auch eine vernünftige und eine gute Anästhesie, die ihm das schneller ermöglicht als eine herkömmliche Intubations-Narkose gestattet.


  • Minute 10:13 bis 15:59

    Dr. Kuhn: In Bezug auf diesen Enhanced Recovery oder Rapid Recovery Programme bei der Endoprothetik haben wir ja mittlerweile eine tolle Evidenzlage. Dass das wirklich den Patientinnen und Patienten wirklich hilft, dass sie schneller wieder gesund werden, schneller wieder in die Alltagsaktivität kommen und auch weniger Komplikationen erleiden. Wie war das jetzt in Bezug auf Virtual Reality Einsatz? Haben Sie da auch begleitend Evaluation durchgeführt? Patientinnen vielleicht auch befragt zu der Erfahrung, oder haben Sie sich da eher auf externe Studien verlassen?


    Dr. Spank: Na, da haben wir uns dann doch eher auf externe Studien verlassen. Wir sind ein Versorgungshaus und sehen die Patienten sicherlich in unserem MVZ postoperativ, aber haben jetzt keine extra Studie aufgelegt, um zu evaluieren, inwieweit da ein Benefit entsteht. Wir haben die Meinung der Patienten erfasst, sozusagen. Haben Sie gefragt: Hat es Ihnen gefallen? Haben Sie irgendwie Probleme oder Sorgen gehabt während der Operation? Hat irgendwas nicht gepasst und haben überwiegend jetzt rein subjektiv gefühlt ein positives Stimmungsbild erfahren können.


    Dr. Kuhn: Wobei das auch ein sehr, sehr wichtiger Aspekt ist. Also die Akzeptanz insbesondere auch in der Nachbefragung ist unglaublich wichtig und wir kennen das ja auch: Sowas spricht sich durchaus dann auch bei den Patienten und ihren Angehörigen um, dann ja.


    Alissa Stein: Ich will das gerne noch mal zusammenfassen, weil wir ja gerade schon einige Vorteile auch gehört haben. Vielleicht können wir noch mal die Vorteile zum einen für Patientinnen und Patienten zusammenfassen und im Nachgang auch noch mal für das Klinikpersonal. Herr Spank, wollen Sie vielleicht einmal starten?


    Dr. Spank: Der Vorteil für den für die Patientinnen und Patienten besteht darin, dass bei der gewählten Form der Narkose, also der Spinalanästhesie, die, die ich persönlich und auch viele meiner Kollegen beim endoprothetischen Gelenkersatz bevorzugen, im Rahmen von Enhanced oder Fast Track Programm. Der Vorteil besteht darin, der VR-Brille, dass man den Patient von der Realität um sich herum abkoppelt, ohne ihn zusätzlich narkotisieren zu müssen. Das heißt, er kann sich in eine andere Welt begeben und kriegt von der eigentlichen OP nichts mit. Das ist der Vorteil für den Patienten. Der Vorteil für das Klinikpersonal besteht einfach in der Tatsache von beschleunigten Prozessen. Sie haben ja bei der Spinalanästhesie die Tatsache, dass ich dem Patienten diese Rückenmarksnarkose in Anführungsstrichen setzen. Das geschieht in der Hand von erfahrenen Narkoseärzten innerhalb von kurzer Zeit, also maximal zehn Minuten. Und Sie haben nicht diese lange Einleitungs- und Ausleitungsphase, die Sie bei einer normalen Narkose, bei einer Intubationsnarkose haben. Das heißt, das beschleunigt die Prozesse und erleichtert letztendlich die Arbeit für das beteiligte Personal.


    Alissa Stein: Ja, beim Einsatz von VR, da gibt es ja auch Bedenken. Der Neurologe Dr. Philipp Kellmeyer von der Uniklinik Freiburg sagt zum Beispiel Oft werden die besonderen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten unzureichend berücksichtigt. Und wenn Demenzkranke beispielsweise nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können, ist es ein gravierender Eingriff in ihre Autonomie. Was sagen Sie denn, Herr Dr. Spank?


    Dr. Spank: Dem kann ich 100 % zustimmen. Also bei uns geht es letztendlich bei der Patientenakquise immer darum, dass wir es in erster Linie mit geistig aktiven, fitten und nicht demenzkranken Patienten zu tun haben. Wie gesagt, es handelt sich bei dem Einsatz der VR-Brille in erster Linie also zu 99 %, um Patienten, die sich bewusst und aus eigener Wahl sozusagen einem endoprothetischen Gelenkeingriff unterziehen. Natürlich betreuen wir auch traumatologische Patienten und da im hohen Maße alters pharmakologische Patienten. Da spielt das aus meiner Sicht keine Rolle, weil das meistens Patienten sind, die schon mit einer gewissen Vorerkrankung, also auch in Richtung Demenz zu uns kommen. Ich bevorzuge auch da die Regionalanästhesie, sprich die Spinalanästhesie aus den bekannten Nachteilen von Vollnarkose und gerade für Demenzpatienten. Aber da setzen wir auf keinen Fall die Videobrille ein. Weil das einfach gar nicht ins Setting passt und der Patient nicht in der Lage ist, das nachzuvollziehen, was da passiert.


    Alissa Stein: Stimmen Sie da überein oder haben Sie da eine andere Meinung, Herr Dr. Kuhn?


    Dr. Kuhn: Ja, absolut. Ich glaube, die Punkte sind unglaublich wichtig, dass zwischen Realität und Fiktion unterschieden werden kann. Das andere, was wir auch immer noch sehen, ist, dass selbst bei jungen Patienten ein geringer Prozentsatz auch trotzdem nicht geeignet ist, die mit Übelkeit oder mit Schwindel, mit Erbrechen dann auch reagieren. Das sind häufig auch Patienten, die Schwierigkeiten haben, vielleicht im PKW mitzufahren und ein Buch zu lesen oder im Handy was nachzuschauen. Wir haben so 5 bis 10 % von den Patienten, die einfach das aufgrund von Bewegungsstörungen, Abgleich, visuelle Eindruck und Gleichgewichtsorgan dort auch Schwierigkeiten haben.


    Alissa Stein: Das heißt, wo genau sollte man auch beim Einsatz von VR Grenzen ziehen?


    Dr. Kuhn: Ja, also ich glaube es ist wie überall in der Medizin. Es bedarf eine ganz klare Indikationsstellung. Und bei dem Beispiel von Herrn Spank ist es wirklich so, dass wir Patienten ablenken können, vielleicht beruhigen können. Und auch bei dem Beispiel, was ich vielleicht noch erwähnt habe, mit den schmerzhaften Verbandswechseln. Da kann man wirklich Menschen in eine entspannte Situation übertragen. Sie wissen aber dennoch, dass das Ganze halt einfach eine beruhigende Maßnahme ist, so wie wir vielleicht auch in anderen medizinischen Settings auch Entspannungsverfahren einsetzen können. Es ist aber immer noch klar, anhand von einem Patientenkollektiv und auch vielleicht dem operativen Eingriff gewählte Prozedur.


    Alissa Stein: Und Herr Spank, wie ist da Ihre Meinung? Wo sollten da die Grenzen gezogen werden?


    Dr. Spank: Na, ich sehe es ähnlich wie Herr Kuhn. Also Patienten mit Vorerkrankungen in Richtung Demenz sollten absolut nicht in diese Auswahl gezogen werden. Und letztendlich, klar, muss man im Gespräch versuchen herauszufinden, dass… Es gibt durchaus Menschen, die, ich sage mal beim Purzelbaum schlagen, Schwindelgefühle kriegen oder ähnliches. Die sollte man dann damit auch nicht zusätzlich in, ich sage mal, in Situationen bringen, wo das Vermögen, sich räumlich zu orientieren, durch so eine Brille irgendwie eingeschränkt wird. Das kann schon Probleme bereiten. Das sehe ich genauso. Das wird letztendlich dann zu Situationen führen, wo der Patient gar nicht mehr so richtig weiß: Wo bin ich jetzt eigentlich, in welcher Realität? Und das sollte man möglichst im Vorgespräch versuchen rauszukriegen, indem man einfach gezielt die Frage stellt: Du bist dann in einer anderen Welt sozusagen –das machen wir ja auch in unseren Sprechstunden – Kommen Sie damit zurecht oder ist es eher ein Thema für Sie, etwas, was Sie beeinträchtigt? Und das kriegt man eigentlich relativ gut raus. Aber es stimmt, Herr Kuhn hat recht, es ist ein gewisser Prozentsatz der Patienten ist halt dabei, die das aus unterschiedlichsten Gründen für sich nicht in Anspruch nehmen wollen.


  • Minute 16:00 bis 21:34

    Alissa Stein: Jetzt haben wir über die Grenzen gesprochen, aber vielleicht können wir auch noch über die weiteren Möglichkeiten sprechen. Herr Kuhn, wo sehen Sie da noch weitere Einsatzmöglichkeiten?


    Dr. Kuhn: Ja, es gibt, glaube ich, tolle Einsatzmöglichkeiten, sowohl wenn wir jetzt bei Patientinnen und Patienten bleiben, aber auch bei medizinischem Fachpersonal. Zu den Patientinnen und Patienten ist es so: Wir können sie in bestimmte Situationen bringen, die vielleicht im Rahmen von Erkrankungen und auch deren Therapien sinnvolle Anwendungsgebiete sind. Also wir bewegen uns dort ein bisschen in den Bereich rein digitaler Therapien oder mit Virtual Reality unterstützte Therapien. Gute Beispiele sind zum Beispiel Menschen mit Lähmungen, sei es nach Apoplex oder auch nach einer traumatologischen Verletzung. Da gibt es eine Reihe von Anwendungen, also MindMaze ist zum Beispiel eins davon, wo wir bestimmte Übungssituationen steuern können, auch eine digitale Form von der Spiegeltherapie. Wenn Menschen vielleicht nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt sind, wenn wir dort mit Virtual Reality die Bewegungsfähigkeit virtuell, visuell verbessern, sind Patienten auch in der Lage, wirklich den Arm wieder besser einzusetzen. Und diesbezüglich entwickelt sich wirklich so ein Bereich von virtuellen digitalen Therapieformen. Der andere Bereich, den ich auch sehr, sehr spannend finde, einfach im Klinikkontext, ist im Rahmen von der Qualifizierung von den Mitarbeitenden. Wir haben ähnliche oder Parallelitäten dazu, wie Piloten, die in den Flugsimulator gehen. Wir können mit Virtual Reality eine Situation erzeugen, die wir vielleicht im Alltag nicht jeden Tag haben, sie aber trainieren sollten oder wie sie trainieren wollen, weil sie besonders komplex ist und nicht das erste Mal, wenn man das dann durchführt, die Realität sein sollte. Und in dem Bereich setzen wir Virtual Reality schon ein: im Rahmen von Notaufnahme, Simulation, Schockraumsimulation oder auch im Training von operativen Eingriffen. Das man die Möglichkeit hat, am VR Simulator einmal durch zu deklinieren, Feedback zu bekommen, bevor man dann in am realen Patient aktiv wird.

    Alissa Stein: Wie war denn da bisher das Feedback von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern?


    Dr. Kuhn: Also wir haben da eine relativ hohe Akzeptanz bei den teilnehmenden Teilnehmern. Es ist wirklich so, dass wir so 5 bis 10 % haben, die wirklich aufgrund von der räumlichen Orientierung Schwindel, Übelkeit, längere Trainingsszenarien nicht durchführen können. Aber bei den restlichen haben wir eine unglaublich hohe Akzeptanz und auch vor allem die Rückmeldung, dass das, was nur virtuelle Realität ist, trotzdem als sehr echt erlebt wird. Wir messen auch Stressverhalten dabei, also Puls, Anstieg, Atemmuster etc. Das ist wie in einer klassischen Stresssituation. Wir können so mit VR nicht nur zum Entspannen oder zum Schmerz reduzieren einsetzen, sondern auch wirklich zum Provozieren von bestimmten Trainingssituationen.


    Alissa Stein: Großartig. Ich glaube, wenn man da gerade frisch von der Uni kommt, schadet das auch nicht, in so einem Setting das wirklich einmal zu erleben digital, bevor es dann wirklich um Leben und Tod ja tatsächlich auch geht. 


    Dr. Kuhn: Genau.


    Alissa Stein: Herr Kuhn, Sie gucken ja sehr gerne mit unseren Gästen in die Zukunft. Deswegen übergebe ich hier mal an dieser Stelle.


    Dr. Kuhn: Ja, Herr Spank, es ist ganz toll, was 2022 schon alles möglich ist und was Sie jetzt auch in Ihrer Klinik schon umgesetzt haben. Ich würde aber gerne mit Ihnen einmal noch mal in die Zukunft schauen. So ein bisschen die Perspektive 2030. Das ist eigentlich gar nicht mehr so weit von uns entfernt. Was ist so Ihre Vision? Vielleicht von einer Gesundheitsversorgung, von der Medizin oder vielleicht auch von der Orthopädie und Unfallchirurgie in diesem Kontext? Wie können vielleicht Dinge, die Sie jetzt schon in Realität umgesetzt haben, wie kann so was sich vielleicht weiterentwickeln? Welche Ideen haben Sie dazu?


    Herr Spank: Naja, also zunächst mal hängt die Weiterentwicklung der Gesundheitslandschaft in Deutschland maßgeblich von politischen Entscheidungen ab. Das ist uns allen klar. Und ich denke, wir sind an einem Punkt angelangt, wo Entscheidungen getroffen werden müssen, um diese Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken. Aber in Bezug auf die Digitalisierung im Bereich des Fachgebiets Orthopädie und Unfallchirurgie gibt es aus meiner Sicht sehr, sehr viele Möglichkeiten. Das beginnt mit einer elektronische Patientenakte, die wir Gott sei Dank hier bei uns im Klinikum etabliert haben. Und diese Akte sollte dann bitteschön in Netzwerke eingebaut sein, die den Bereich stationär ambulant problemlos überwinden, sozusagen. Das ist ja immer noch die große Hürde, die wir uns heute jeden Tag stellen müssen. Und diese Grenzenüberwindung sollte es aber auch geben für den Patienten, dass der Patient quasi und da sind wir auch eigentlich gut beteiligt an entsprechenden Projekten. Dass der Patient, ich sage mal in die gesamte Versorgungskette also der elektive, nicht der der traumatologische oder Unfallpatient, der zum Teil aber der elektive Patient, die gesamte Versorgungskette mit eingebunden wird, per App oder meinetwegen auch in der Virtual Reality, die im Jahr 2030 ganz anders aussieht als heutzutage und eben nicht nur den Bereich des Krankenhausaufenthaltes als Betreuung durch Ärztinnen und Ärzte wahrnimmt. Sondern die komplette Kette sozusagen: vom ersten ambulanten Kontakt bis zum letzten Physiotherapie Termin. Das sind für mich Sachen, die mit Sicherheit eine große Rolle spielen werden in den nächsten zehn Jahren. Und dann ist es so, wie Sie gesagt haben, Herr Kuhn, die Ausbildung wird sich grundlegend verändern müssen aus meiner Sicht. Das Wälzen von Lehrbüchern ist schön, aber mit den technischen Möglichkeiten, die wir heutzutage haben, kann man ganz anders an die Ausbildung von Medizinstudenten oder auch von Ärzten und Ärztinnen herangehen. Das wird eine entscheidende Rolle spielen. Da ist zum Beispiel ein Thema, was uns in der Orthopädie im Moment beschäftigt die Robotik, im Bereich der Knie-Endoprothetik, die ja mehr und mehr Fuß fasst. Und das sind Systeme, die können Sie nicht im OP lernen, das müssen sie. Wir können das natürlich machen im OP, aber das kostet Zeit, Nerven und letztendlich auch Ressourcen. Und das ist halt genauso ein Thema. Da müssen Sie sich vorher beschäftigen, anhand von Virtual Reality mit dieser Technik. Also diese beiden großen Themen sind für mich in der Zukunft, spielen eine entscheidende Rolle: die Ausbildung, ob jetzt von Medizinstudenten oder von Ärzten, und halt das Begleiten des Patienten über eine digitale Virtual Reality, wie auch immer die dann geartet sein mag.


    Dr. Kuhn: Vielen Dank für den Einblick.


  • Minute 21:35 bis 22:23

    Alissa Stein: Ich habe ganz herzlich zu danken, denn wir haben heute einen spannenden Einblick in das Thema Virtual Reality im Klinikumfeld bekommen. Und ich muss sagen, ich selbst konnte einiges mitnehmen und hoffe, dass es Ihnen genauso ging. Sie dürfen natürlich unseren Podcast sehr gerne teilen, kommentieren und natürlich auch bewerten. Und sollten Sie eine Frage haben oder uns einfach gerne Feedback zukommen lassen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an feedback@newhealth.guide. Ansonsten freuen Sie sich gerne auf die nächste Folge, die am Ende des nächsten Monats erscheinen wird. Wieder mit einem spannenden Thema. Wir freuen uns, wenn Sie auch dann wieder als unsere Zuhörerinnen und Zuhörer mit dabei sind. Herr Spank und Herr Kuhn, herzlichen Dank an Sie beide.


    Herr Spank: Danke an Sie! Auf Wiedersehen.


    Dr. Kuhn: Auf Wiedersehen, Frau Stein.


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Digitalisierung sinnvoll umsetzen. Der Podcast zur Digitalisierung des Gesundheitswesens: Prof. Dr. med. Sebastian Kuhn und Moderatorin Alissa Stein sprechen regelmäßig mit Gästen aus der Branche. Ihre Themen: Spannende Best-Practice-Beispiele, interessante Visionen und praktische Erfahrungen, wie Entscheiderinnen und Entscheider im Krankenhaus Hürden bei der Digitalisierung meistern.

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