Folge 1:

Automation in der Medizin

Digitalisierung im Krankenhaus soll Prozesse vereinfachen. Digitale Lösungen, die auch die Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten sicherstellen sollen, sind klinische Entscheidungsunterstützungssysteme.

Dr. Timothy Mende von kumi health

Zu Gast: Dr. Timothy Mende

Gründer und Geschäftsführer kumi health

Dr. Timothy Mende war als Facharzt für Innere Medizin am Uniklinikum Lübeck tätig und hat kumi health im Jahr 2015 gemeinsam mit IT-Spezialist Philip Mahler in Hamburg gegründet. Seitdem ist er Geschäftsführer des Unternehmens, das es sich laut Eigenbeschreibung zur Aufgabe macht, „den Zettel in der Kitteltasche“ zu digitalisieren. Kumi ist Japanisch und bedeutet „Team“ – und das ist das Programm der Software.


Das Unterstützungssystem macht die klinische Organisationsarbeit digital steuerbar, Ärztinnen und Ärzte können sich in Echtzeit koordinieren. Zudem bietet die Plattform die Möglichkeit, die Belegung effektiver zu steuern. Kumi stellt Behandlungspfade digital bereit. So werden SOPs (Standard Operating Procedures) in Krankenhäusern für alle Beteiligten zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar. Das Ziel: die bestmögliche Versorgung für Patientinnen und Patienten sicherstellen.

Was leisten klinische Entscheidungsunterstützungssysteme?


Es werden zwei Formen klinischer Entscheidungsunterstützungssysteme, auf Englisch „Clinical Decision Support Systems“ (CDSS), unterschieden: Zum einen wissensbasierte Systeme, deren Regeln auf Grundlage literaturbasierter, praxisbezogener oder patientenorientierter Daten und Erkenntnisse programmiert werden. Zum anderen gibt es nicht-wissensbasierte Systeme, die ebenfalls eine Datenquelle brauchen, aber mit maschinellem Lernen und statistischer Mustererkennung – also mithilfe Künstlicher Intelligenz – arbeiten, anstatt programmiert zu werden.


Entscheidungsunterstützungssysteme können Arbeitsabläufe verbessern und das Krankenhaus-Management vereinfachen. Manche Systeme unterstützen zudem Diagnosen oder erhöhen die Sicherheit bei der Medikation, sofern entsprechende Patientendaten im Entscheidungsunterstützungssystem aufgenommen werden.

Transkript der Podcast-Folge

  • Minute 00:00 bis 06:00

    Alissa Stein: NewHealth.Podcast. Digitalisierung sinnvoll umsetzen. Der Talk mit Expertinnen und Experten zur Digitalisierung des Gesundheitswesens.


    Dr. Kuhn: Mit Sebastian Kuhn.


    Alissa Stein: Professor für digitale Medizin. Und mit mir, Alissa Stein, als Moderatorin. 

    Herzlich willkommen zu unserer ersten Episode unseres NewHealth.Podcast. In dieser Folge geht es um Automation in der Medizin, genauer gesagt: automatisierte klinische Entscheidungsunterstützungssysteme. Ein ganz schlimmes Wort. Auf Englisch heißt das Clinical Decision Support Systems, abgekürzt also CDSS. Und diese Systeme analysieren patientenbezogene Daten und optimieren Arbeitsabläufe des medizinischen Personals und sollen am Ende dazu beitragen, die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern. 

    Doch bevor wir zum Thema kommen, darf ich Dr. Sebastian Kuhn vorstellen. Er ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und seit Oktober Professor für Digitale Medizin an der Philipps Universität Marburg und Leiter des Instituts für Digitale Medizin am Universitätsklinikum Gießen-Marburg. Willkommen, Herr Dr. Kuhn.


    Dr. Kuhn: Hallo Frau Stein.


    Alissa Stein: Wir werden ab jetzt regelmäßig im NewHealth.Podcast über die Digitalisierung des Gesundheitswesens sprechen. Was würden Sie sagen? Warum ist das aus Ihrer Sicht so wichtig?


    Dr. Kuhn: Ja, also aus meiner Sicht: Wir sind einfach an einem unglaublich spannenden Moment in der Geschichte der Medizin. Wir haben durch den digitalen Wandel neue technologische Innovationen, neue technologische Möglichkeiten. Aber wir haben vor allem noch eine riesengroße Aufgabe vor uns. Wir müssen das machen, was schon Generationen von Ärztinnen und Ärzten vor uns getan haben. Wir müssen technologische Innovationen in eine sinnvolle medizinische Patientenbehandlung übersetzen. Und daran müssen verschiedene Personen beteiligt werden. Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, aber auch medizinische Fachangestellte und insbesondere das Krankenhausmanagement. Nur wenn wir das gemeinsam gestalten mit technologischen Innovatoren, dann werden wir die Medizin verändern. Deshalb sind wir hier.


    Alissa Stein: Absolut. Wir haben auch ganz viele spannende Themen vorbereitet für diesen Podcast. Heute widmen wir uns aber ganz konkret den CDS-Systemen. Was genau ist das denn?


    Dr. Kuhn: Ja, ein klinisches Entscheidungsunterstützungssystem. Das sind Computersysteme, die Entscheidungen eines Klinikers wesentlich beeinflussen. Und zwar, und das ist wichtig, zum Zeitpunkt der Behandlung eines individuellen Patienten. Und es gibt eine ganze Reihe von verschiedenen Variationen von diesen Systemen. Und von daher ganz pauschal ist es nicht einfach zu charakterisieren. Im Englischen gibt es dafür einen griffigen Satz, der lautet „Get the right information to the right doctor at the right time“. Das ist der erste Schritt, um dann eventuell auch die nächste Entscheidung zu unterstützen, zu triggern. Und sinnhaft ist das Ganze, weil es reduziert die Komplexität von der Behandlung. Wiederkehrende Behandlungsabläufe können unterstützt werden. Wir können Fehler reduzieren, vermeidbare Fehler und wir können Informationslücken schließen. So ein bisschen analog dazu, was Piloten schon lange machen mit Checklisten, bevor sie losfliegen, aber auch bezüglich bestimmten Abläufen in kritischen Situationen.


    Alissa Stein: Ja, ein ganz toller Vergleich. Wir haben uns auch für diese Folge Unterstützung gesucht und begrüßen als Gast heute Dr. Timothy Mende. Er ist Gründer und Geschäftsführer von kumi health, einer digitalen Plattform, die Arbeitsabläufe in Krankenhäusern verbessern soll. Willkommen, Herr Dr. Mende.


    Dr. Mende: Guten Tag! Herzlichen Dank, dass ich hier sein darf.


    Alissa Stein: Bevor wir jetzt gleich in die Diskussion gehen, noch der Hinweis an Sie, liebe Hörerinnen und Hörer: Sollte Sie ein Thema ganz besonders interessieren, dann schicken Sie uns gern Ihre Fragen an feedback@newhealth.guide. Oder werfen Sie einen Blick in das Magazin, den NewHealth.Guide. Darin gibt es alles rund ums Krankenhauszukunftsgesetz bis hin zu spannenden Best Practice Beispielen. Auf unserer Homepage www.newhealth.guide finden Sie alle Infos zum Magazin und außerdem erscheinen dort alle Folgen des Podcasts und Sie können uns natürlich auch gerne bei Ihrem Anbieter Ihrer Wahl abonnieren. 

    Herr Dr. Mende, 2015 haben Sie kumi health gegründet. Erklären Sie uns doch ganz kurz, warum und wie genau Ihr Programm auch in Krankenhäusern unterstützen kann.


    Dr. Mende: Ja, es ist jetzt schon eine Weile her. Warum haben wir kumi gegründet? Ich bin Arzt vom Hintergrund, bin in der Universitätsklinik in der Inneren Medizin groß geworden und habe den normalen Weg hin zu einem leitenden Arzt irgendwann, der ich mal hätte werden können, durchlaufen und habe festgestellt: Zwei Sachen funktionieren leider im Krankenhaus noch nicht so gut wie von dem Kollegen angesprochen, inzwischen vielleicht in der Flugindustrie oder in anderen Industrien, die wir kennen, wo wir das Gefühl haben, die eine Hand greift sehr stark in die andere. 

    Was sind diese zwei Sachen? Einerseits war es für mich immer unvorstellbar, warum wir eigentlich so viel Kraft und Energie in die Abstimmung im klinischen Team reinstecken müssen und trotzdem Patienten uns gegenüber häufig das Gefühl kommunizieren: „Hm, ob bei euch wirklich die rechte Hand weiß, was die linke tut? Ich weiß es nicht.“ Und ich hatte den Eindruck, es lag nicht ausschließlich an mir. Zweites Thema gerade an der Uniklinik, aber inzwischen in sehr, sehr vielen der sehr guten Krankenhäusern, die wir in Deutschland haben Gang und Gäbe: Wir definieren Leitlinien, Strukturen, SOPs – Standard Operating Procedures nennt man das –, was wir eigentlich bei einer gegebenen Erkrankung eines unserer Patienten machen wollen. 

    Und leider schaffen wir es, da müssen wir ganz ehrlich sein, als Ärztinnen und Ärzte sehr selten unseren Plan von dem, was wir machen wollen, wirklich jeden Tag auch beim Patienten ankommen zu lassen. Also damals, als ich noch in der Klinik tätig war, die Flure auf und abgelaufen bin auf den Stationen, waren diese Standard Operating Procedures, unsere Sollpläne in Leitz-Ordnern verstaut. Und der wesentliche Grund, warum wir später Kumi gegründet haben, war es wirklich, diese Teamarbeit im klinischen Team einfacher zu machen. Um gemeinsam mehr von dem, was wir uns vornehmen, tatsächlich im Sinne von guter und richtiger Behandlung bei Patienten ankommen zu lassen.

  • Minute 06:01 bis 09:23

    Alissa Stein: Vielen Dank. Herr Kuhn, kennen Sie das? Können Sie da auch aus Erfahrung sprechen?


    Dr. Kuhn: Ja, das ist auf jeden Fall der richtige Ansatz. Und ich muss sagen, ich teile da die gleiche Erfahrung, nicht aus der Inneren Medizin, sondern aus der Chirurgie. Mein Schwerpunkt war die Schwerstverletzten-Behandlung, und das war auch für mich der Startpunkt in den digitalen Wandel. Nämlich um das, was wir in der SOP definiert formuliert haben, wirklich sicherzustellen, dass das bei Patientinnen und Patienten im gesamten Behandlungsablauf ankommt. Und da waren zum Beispiel Entscheidungsunterstützungssysteme bei der Verteilung von Patienten, wenn mehrere Patienten zeitgleich verunfallen. Also welcher Patient geht besser in fünf Minuten ins nächste Kreiskrankenhaus und welcher sollte mit dem Hubschrauber primär auch schon in die Uniklinik, vielleicht mit 30 Minuten Transportzeit transportiert werden? Aber auch die innerklinischen Abläufe, die abzubilden und auch unterstützt den Patientinnen und Patienten sicherzustellen, dass die Behandler das umsetzen können. Das war für mich auch der Wandel in die Digitalisierung.


    Alissa Stein: Teilweise arbeitet Software, die Prozesse in Kliniken unterstützen soll, auch mit künstlicher Intelligenz. Herr Dr. Mende, was halten Sie denn davon? Und welche Vor- oder vielleicht auch Nachteile kann das mit sich bringen?


    Dr. Mende: Ich glaube, künstliche Intelligenz ist ein ultraspannendes Feld für die Medizin und gerade auch für die Leistungsfähigkeit perspektivisch von Krankenhäusern und dem Personal in Krankenhäusern, um die beste Medizin wirklich bei Patienten ankommen zu lassen. Ich sage bewusst perspektivisch, weil ich merke, dass wir an vielen Stellen, was unsere Organisationsgrade und Organisationsstrukturen in Krankenhäusern betrifft, häufig noch gar nicht in der Lage sind, eigentlich das Potenzial von diesen neuen Technologien so richtig auf die Straße, also in unser tägliches Handeln, zu überführen. Und wir sind, glaube ich, was gerade so das Behandlungsmanagement, das ist so das Kernthema von dem, was wir bei kumi machen, zu strukturieren, zu organisieren, tatsächlich in vielen Bereichen eben in der Zettel- und Stift-Welt noch unterwegs. Alle mit unserem ausgelagerten Gehirn, wenn überhaupt als Zettel in der Kitteltasche. Was mache ich wann, wo mit keiner Form synchronisiert zwischen einzelnen Akteuren im Team. Also da sind erste Schritte glaube ich noch an Hausaufgaben und an Basisarbeit notwendig, bevor wir so richtig das volle Potenzial von AI und vielen anderen spannenden Zukunftstechnologien auch in die Realität des Arbeitsalltags im Krankenhaus integriert bekommen.


    Alissa Stein: Welche Vor- oder Nachteile sehen Sie, Herr Kuhn?


    Dr. Kuhn: Grundlegend muss man unterscheiden. Es gibt zwei ganz grobe Grundgruppen, die wir unterscheiden. Das eine sind eher diese wissensbasierten Anwendungen, wo aufgrund von Literatur, aufgrund von Leitlinien im Endeffekt diese Regeln übersetzt werden, vielleicht durch ein digitales Tool. Und das ist das, was Her Mende und ich eben auch angesprochen haben. 

    Und darüber hinaus gibt es dann auch die KI-Systeme, die auf maschinellem Lernen basieren, wo wir nicht die einzelnen Schritte programmieren, sondern im Endeffekt einen Trainingsdatensatz definieren, zum Beispiel was ist gesund, was ist krank und dann ein neuronales Netz im Endeffekt diese Mustererkennung durchführt und im Endeffekt dort ein nicht-wissensbasiertes System entsteht. 

    Für beide gibt es sicherlich gute Anwendungsgebiete, aber wenn es jetzt um die klinische Umsetzung geht, sind wir weitestgehend immer noch in Implementierungsstudien, in punktuellen Anwendungen. Krebserkennung ist etwas, was zum Beispiel schon gut mit maschinellem Lernen funktioniert. In vielen Bereichen ist es allerdings auch ein Riesenpotenzial, erstmal auch noch wissensbasiert Prozesse digital unterstützt abzubilden.

  • Minute 09:24 bis 14:54

    Alissa Stein: Wir sprechen jetzt noch mal im Detail über CDSS und ich bin sehr froh, dass ich hier diese Abkürzung verwenden kann. Denn eine Studie zu CDSS macht einen spannenden Punkt auf. Die Systeme können an denselben Stellen Probleme verursachen, wo sie eigentlich helfen sollten. Zum Beispiel heißt es, dass sie einerseits Arbeitsprozesse vereinfachen soll und andererseits gibt es aber die Gefahr, dass sie diese sogar verkomplizieren. So sagt es die Studie. Warum ist das so?


    Dr. Kuhn: Ich glaube, was enorm wichtig ist: Das eine ist natürlich so ein klinisches Entscheidungsunterstützungssystem. Das ist eine technische Lösung, die wir entwickeln können, die wir auch klinisch validieren können. Das andere ist natürlich immer auch die Umsetzung in die Praxis. Also wir müssen diesbezüglich sehr viel Real World Evidence auch erzeugen, um aufgrund von vielleicht auch Heterogenitäten in der Patientenpopulation, aber natürlich auch Heterogenität in der Kompetenz von den Anwendern im Endeffekt auch zu identifizieren, wo Probleme auftauchen können. Und das ist auf jeden Fall multifaktoriell. Population, aber auch Nutzer sind dort wesentliche Einflussfaktoren.


    Alissa Stein: Und Herr Mende, was sagen Sie zu dieser Schwierigkeit?


    Dr. Mende: Ja, da stimme ich meinem Kollegen zu. Auf der Basis ist es wie immer die Datenqualität, die ich habe, um damit irgendetwas zu machen, ist entscheidend. Und schlaue Leute haben vor langer Zeit schon formuliert: „Schlechte Daten rein, schlechte Intelligenz oder Erkenntnisse raus“. Und das ist halt ein Thema, wo wir auch, würde ich meinem Kollegen recht geben, zwei sehr unterschiedliche Felder haben, auch bezüglich der Geschwindigkeit, wie wir im Krankenhaus damit vorankommen. 

    Ich würde das vielleicht sogar für mich noch einfacher beschreiben mit: Es funktioniert überall da gut, wo wir ein Soll sehr gut beschreiben können und damit eben Trainingsdaten haben und wir damit einem Rechner es leicht machen gegen dieses Soll zu arbeiten. Und vielleicht für die Zuhörer leichter zu verstehen: Im Bereich der Bildgebung ist das sehr gut möglich. Also man kann relativ gut sagen, wie ein gesundes Bild eines Röntgenthorax oder einer Mammographie aussieht und dann einem Rechner sagen zeig mir bitte alles, was nicht dem entspricht und dann kann man Trainingsdaten machen. Das funktioniert in anderen Bereichen, wo auch Bilder eine Rolle spielen. Pathologie, also Gewebeschnitte. Immer wenn ich relativ gut gegen etwas arbeiten kann, funktioniert das. 

    Das Problem, was wir haben, wenn wir an die Organisation der Behandlung von Menschen herangehen, ist, dass wir als Ärzte ja immer sagen würden: Es gibt keinen Patienten, der wie ein anderer ist. Und damit haben wir zum Teil ja auch recht, weil einfach was die Diagnosen angeht, die Nebendiagnosen, aber auch den Kontext, in dem sich ein Patient befindet und viele, viele zusätzliche Einflussfaktoren; es immer einer gewissen Individualisierung bedarf. Und wenn ich diese Individualisierung schon habe, ist es relativ schwer dagegen zu arbeiten als die Norm. Das heißt, in dem Bereich haben wir noch große Herausforderungen für richtig belastbare Daten zu sorgen, insbesondere was den Sollprozess oder den Sollzustand angeht, um dann mächtige Systeme dagegen arbeiten zu lassen und uns die Abweichung vom Soll zu beschreiben und zu zeigen.


    Dr. Kuhn: Sie haben ja mit kumi wirklich eine ganz tolle Arbeit geleistet in den letzten Jahren. Können Sie vielleicht noch mal darstellen, in welchen Use Cases, in welchen klinischen Prozessen funktioniert es bereits heute richtig gut und kann für Patientinnen, aber natürlich auch für die Behandler eine deutliche Erleichterung darstellen?


    Dr. Mende: Sehr gerne. Vielleicht noch mal einen ganz kleinen Schritt zurück an dieser Stelle. Kumi ist das japanische Wort für Team, weil wir tatsächlich sehr stark dran glauben, dass gerade in dieser neueren Zeit jetzt mit New Work und mit Interdisziplinarität es keinen Bereich gibt, der so sehr davon profitiert, wenn man Hand in Hand zusammenarbeitet wie die Medizin, gerade im klinischen Bereich. Ich habe es selbst erleben dürfen auf der Intensivstation, Sie auch in Ihrer Karriere mit Sicherheit. Da spielt Teamwork eine ganz große Rolle. Alleine ist man da nicht in der Lage, Großes zu bewirken. 

    Das heißt, diesen Ansatz des Gemeinsamen haben wir mit kumi als Plattform technisch umgesetzt, insofern, als dass wir die gesamte Patientenreise – im Englischen sagt man ja so schön die Patient Journey – digital aufgestellt haben. Was bedeutet das? Dass vom ersten Kontaktpunkt an eines Patienten mit dem Krankenhaus, sei es, wenn der Patient über die Notaufnahme das Krankenhaus erreicht oder über den ambulanten Sektor, also Indikationssprechstunden dort, wo vielleicht die Indikation gestellt wird zu einem notwendigen stationären Aufenthalt. Vielleicht, weil jemand einen Leistenbruch hätte in der allgemeinen Chirurgie. Ab da gibt es eine Reihenfolge von Tätigkeiten, Handlungen, diagnostischen und therapeutischen Schritten, die ja ultimativ teilweise im stationären und teilweise im ambulanten Bereich die Gesamtheit der Behandlung abbilden. 

    Und diesen gesamten Prozess haben wir in einzelne Schritte zerlegt und haben es vorbereitet, dass einzelne Schritte eben Rollen und Verantwortlichkeiten zuzuordnen sind und dass es eben nicht mehr eine vor allem auf menschliche Koordination „habe Ich schon, habe ich noch nicht? Was müssen wir noch?“ beruhende Reise des Patienten durch das Krankenhaus ist, sondern eine auf digitalen Leitstrukturen beruhende Reise des Patienten durch das Krankenhaus. Die es dann ermöglicht, auch Prüfalgorithmen reinzunehmen. Haben wir eigentlich eine Vollständigkeit? Haben wir eine Leitlinien-Gerechtigkeit? Haben wir an manchen Stellen auch gewisse doppelte Arbeiten, die wir gar nicht machen müssen? Und haben wir vor allem auch einen effizienten Einsatz unser im Krankenhaus heute auch sehr begrenzten Ressourcen? Platt gesprochen eine digitale To-do-Liste, so wie wir es vielleicht teilweise zu Hause mit unseren Freunden oder Familie zum Erstellen einer Einkaufsliste und zum Abarbeiten benutzen in der komplexeren Form, aber für das Krankenhaus hinterlegt mit dem klinischen Pfad für einzelne Diagnosen als dem zentralen Element und nicht der Einkaufsliste mit Milch, Joghurt Eiern, sondern Echokardiographie, Katheteruntersuchung und vielleicht Kreislauflabor, Langzeit-EKG.

  • Minute 14:55 bis 21:31

    Dr. Kuhn: Ich habe da eine Nachfrage. Was waren da vor allem so die ersten klinischen Abläufe? Also welche Diagnosegruppen haben Sie denn primär abgebildet?


    Dr. Mende: Sehr spannende Frage. Kann man gar nicht so sagen, dass wir auf einzelne Diagnosen gegangen sind, sondern wir sind auf einzelne Fachbereiche gegangen. Warum? Klassisch haben wir aus dem Krankenhaus kommend tatsächlich uns schon seit langer Zeit mit klinischen Pfaden beschäftigt und mit Prozessen. Und all die Kollegen, die im Krankenhaus tätig sind, die können das Wort Prozess auch nicht mehr hören, weil so richtig große Schritte haben wir in der Vergangenheit damit ja nicht gemacht. 

    Klassischerweise hat man sich vor zehn, 20 Jahren einzelne Indikationen, wie Sie es eben gesagt haben, rausgepickt, die einigermaßen sauber beschreibbar waren und wo wir nicht zu viel Varianz erwartet haben, also die Endoprothetik beispielsweise oder andere Sachen. Was man da gefunden hat in den Studien dazu ist interessanterweise, dass wenn man sich sehr intensiv mit einer Indikation und damit einem Teil des Patientenkollektivs in einer Einheit beschäftigt, also sagen wir vielleicht die Endoprothetik und das ist vielleicht 20 % in einer orthopädischen Klinik, dann schafft man es natürlich, weil man sich mit dem Prozess sehr intensiv beschäftigt, dass dieser bei den Patienten, die eingeschlossen sind, sehr viel vollständiger und auch zügiger durchlaufen wird. Und damit nicht nur für das Personal, auch für die Patienten und für das Haus wirtschaftlich große Vorteile erreicht. 

    Gleichzeitig kann man sich aber nicht auf alles konzentrieren. Und wenn man sagt, man konzentriert sich auf 20 %, dann konzentriert man sich nicht auf 80 %. Und das heißt, wenn man dort dann ein bisschen was verliert, dann mag es manchmal sogar so sein, dass man unterm Strich sogar negative Effekte in der Summe erzielt. Leuchtturmeffekt ist an der Stelle nichts, was gut ist. Und deswegen ist kumi eher so aufgebaut, dass wir sagen: Jeder Patient durchläuft das Prinzip dieses digitalen Pfades in einer Abteilung, in der kumi läuft. Und dann ist es völlig egal, was die Diagnose ist. Das heißt, für jeden dieser Patienten in der Inneren Medizin oder in der Chirurgie oder in der Gefäßchirurgie gibt es dann einen passenden Pfad. Und wenn es den nicht 100 % passend zur Indikation gibt, dann ist der behandelnde Arzt derjenige, der diesen Stammpfad auf das anpasst, was ein Patient braucht. Und damit kann man in der Summe dann sehr viel besser Vorteile generieren.


    Dr. Kuhn: Um das Ganze umzusetzen in einer Abteilung. Was sind die technischen Voraussetzungen, an die Sie andocken und vor allem auch: Welche Kompetenz brauchen Sie bei den Mitarbeiterinnen?


    Dr. Mende: Also wir installieren; wir sind momentan noch, das ist auch ein bisschen Teil dieser der aktuellen Situation, in der das deutsche Gesundheitswesen im Krankenhaus ist, geschuldet. Wir installieren momentan, im Englischen würde man sagen on premous, also in den Rechenzentren der Krankenhäuser, dort ganz standardisiert auf einer virtuellen Maschine. Also das, was die Technikabteilung aus Krankenhäusern ohnehin jeden Tag können. Perspektivisch werden Cloud-Themen eine Rolle spielen. Da sind wir an manchen Stellen, auch in manchen Häusern schon auf dem Weg dahin. Was zwingend erforderlich ist, um die Nutzerinnen und Nutzer im Krankenhaus so zu unterstützen, wie sie es verdient haben, ist eine Anbindung an die Bestandssysteme. Das ist im Krankenhaus ja klassischerweise das Krankenhausinformationssystem, auch liebevoll KIS genannt. Und die binden wir immer bidirektional an, sodass eben die Daten, die sinnvoll und erforderlich sind, zwischen den beiden Systemen spielend ausgetauscht werden, ohne dass dadurch zusätzliche Aufwände bei den Nutzerinnen und Nutzern entstehen, aber man sehr von den zusätzlichen Möglichkeiten, beispielsweise einer erhöhten Dokumentationstiefe profitieren kann.


    Alissa Stein: Ich bin mir sicher, da konnten wir jetzt alle sehr viel daraus mitnehmen. Wir schauen immer mit unseren Gästen zusammen in die Zukunft. Herr Kuhn, in welches Jahr schauen wir da und was wollen wir von Herrn Dr. Mende wissen?


    Dr. Kuhn: Ja, das ist so meine Standardfrage, die jeder Gast gestellt bekommt. Lassen Sie uns mal in die Zukunft schauen. So, Perspektive 2030 Wie ist Ihre Vision von der medizinischen Gesundheitsversorgung? Und vor allem Welche Rolle spielen Sie oder kumi bei der Lösung von den Problemen dorthin?


    Dr. Mende: Also, was werden die fundamentalsten Veränderungen sein, an die ich glaube? Ich glaube, wir werden eine sehr, sehr viel stärkere Veränderung, insbesondere wenn wir – wir bleiben auch bei Krankenhäusern – und ich glaube, das elektive Geschäft wird sich fundamental verändern. Und dahinter hängt eben das Thema Patientensteuerung. Also warum geht ein Patient X eigentlich ins Krankenhaus Y? 

    Wo wir momentan sehr mächtige Player auf den Markt drängen sehen, die vielleicht auch manche noch gar nicht so sehen, wo es um die Steuerung von großer Mengen an Patientenkollektiven geht. Das heißt, wir werden eine massive Spezialisierung sehen, so mein fast so bisschen lustig gemeintes Beispiel ist immer: Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn vielleicht nicht in Deutschland selbst, aber drei Kilometer an der Grenze, entweder in den Osten oder in Westen, Norden oder in den Süden rein, wo eine Klinik steht, die hochspezialisiert ist auf rechte Füße oder linke Knie oder rechte Ellenbogen. Und die Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet oder aus dem europäischen Raum dorthin in der Lage ist zu rekrutieren und nichts anderes macht, als wie wir in der Technologiewelt sagen, Full Stack Experience von A bis Z. 

    Warum werden diese Steuerungen stattfinden? Naja, wenn wir mal vorne anfangen zu schauen, wo sind Patienten heute oder perspektivische Patienten und wir uns mal das Beispiel Kardiologie nehmen, dann sehen wir, dass es relativ viele Millionen Menschen gibt, die mit dem Langzeit EKG FDA approved am Handgelenk rumlaufen, nämlich von der Firma Apple, die häufig früher in der Lage ist zu erkennen, dass der Patient vielleicht Vorhofflimmern hat als der in der Uniklinik danebenstehende behandelnde Arzt. Wenn der Patient jetzt nicht gerade schon im Krankenhaus ist, sondern irgendwo draußen rumläuft, ist die Frage des Patienten „Ja, was mache ich denn jetzt als nächstes?“ Und dann kommt die Frage des Steuerns: „Du gehst hierhin, dahin, dorthin.“ Das Gleiche sehen wir im Bereich Frauengesundheit Wie viele Millionen Frauen machen Fertilitätszyklus-Apps usw., haben Probleme, stellen sich die Frage „Wo soll ich als nächstes hingehen?“ Plus: Wir kriegen in zunehmendem Maße jetzt die Terminbuchungsthemen, wo in den USA Google schon ganz groß eingestiegen ist und selber den Anspruch hat, Termine zu verwalten, nicht nur in Arztpraxen, sondern auch im stationären Bereich. 

    Da muss man sich schon fragen: Werden die Patienten in den Bereich einer großen Kette geleitet oder der anderen großen Kette? Wer zahlt eigentlich wie viel für wie wir in der Technologie sagen würden Lead generation, also Patientenzustrom? Da kommen spannende Fragen raus. Ultimativ wird Qualität und Nutzererfahrung der treibende Faktor sein. Preis auch an einigen Stellen. Und da sehe ich den größten Umschwung mit der Sorge, dass wenn wir in den starken deutschen Krankenhäusern das nicht früh genug auf dem Schirm haben und in der Lage sind, über Qualität und auch Preis, das heißt Produktivität, Effizienz konkurrenzfähig zu sein, dann kommen da Anbieter auf den Markt, die es uns nicht leicht machen, die gewachsenen deutschen Krankenhäuser auch am Leben zu halten. Und ich glaube, da sind wir mit diesem 2030 Zeithorizont schon einen ganz großen Schritt dieser Wandlung gegangen.

  • Minute 21:32 bis 23:15

    Alissa Stein: Aber da noch mal nachgehakt: Wo konkret sehen Sie denn auch sich mit kumi 2030?


    Dr. Mende: Wir sind momentan diejenigen, die den zunehmenden Patientenstrom dann im Krankenhaus im Prinzip entgegennehmen und es dem Krankenhaus ermöglichen, diesen Patienten genau diese hochwertige Behandlungsqualität, Servicequalität, zu einem effizienten Kostenpunkt anbieten zu können und damit eigentlich das zu tun, was mir als Arzt ultra wichtig ist: ein Leistungsversprechen zu erfüllen. Und zwar reproduzierbar. Erneut, wieder und wieder und wieder. Und wenn wir mit kumi health die Firma sein können, die es Krankenhäusern leicht macht, auch deutschen Krankenhäusern eben in dieser kompetitiven Position aus einer eigenen Kraft der Stärke heraus zu sein und viele, viele, viele Patienten auf höchstem Niveau behandeln zu können mit zufriedenen Mitarbeitern, dann ist das eine Reise, die uns sehr glücklich machen wird und die auch ein hohes Maß an Wertschöpfung ermöglichen wird. Und wo man aus unserer Sicht auch eine sehr erfolgreiche, große und dann auch international bekannte Firma wird kreieren können.


    Alissa Stein: Absolut. Also noch eine ganz spannende Zeit, die uns allen da im Gesundheitswesen bevorsteht in den nächsten Jahren. Und es sind ja wirklich auch nur noch ein paar Jahre, in denen sich jetzt ganz viel sicherlich auch verändern wird. Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen beiden bedanken, Herr Mende, Ihnen noch eine ganz gute Zeit und herzlichen Dank für Ihren spannenden Input.


    Dr. Mende: Vielen Dank! Es war klasse, bei Ihnen zu sein.


    Dr. Kuhn: Ja, auch von meiner Seite ganz herzlichen Dank, Herr Mende, für das spannende Gespräch. Ich freue mich aufs nächste Mal und auf bald.


    Alissa Stein: Herr Kuhn, wir treffen uns zur nächsten Folge unseres NewHealth.Podcast. Darauf freue ich mich schon. Und an Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, bleiben Sie gesund und freuen Sie sich auf die nächste Folge. Dann geht es nämlich um Virtual Reality und den Einsatz der Technologie als Narkosemittel. Also auch wirklich ein ganz spannendes Thema. Schreiben Sie uns gerne Ihre Fragen, Ideen oder Wünsche an feedback@newhealth.guide. Machen Sie es gut und wir freuen uns, wenn Sie dann wieder mit dabei sind.

NewHealth.Podcast:

Zu allen Folgen

Digitalisierung sinnvoll umsetzen. Der Podcast zur Digitalisierung des Gesundheitswesens: Prof. Dr. med. Sebastian Kuhn und Moderatorin Alissa Stein sprechen regelmäßig mit Gästen aus der Branche. Ihre Themen: Spannende Best-Practice-Beispiele, interessante Visionen und praktische Erfahrungen, wie Entscheiderinnen und Entscheider im Krankenhaus Hürden bei der Digitalisierung meistern.

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